Lenin und die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) im jungen Sowjetstaat

Vor einhundert Jahren, im Frühjahr 1921 wurde in der noch jungen Sowjetunion die Neue Ökonomische Politik (NÖP) eingeführt. Im letzten Blogeintrag wurden die Hintergründe dieser vom X. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) – KPR(B) – beschlossene Kehrtwende vom sogenannten „Kriegskommunismus“ zum friedlichen Aufbau des Sozialismus, unter den neu entstandenen Bedingungen, beleuchtet und die Entstellungen der Feinde des Sozialismus und der Sowjetunion zurück gewiesen bzw. richtig gestellt.

In diesem Beitrag geht es um den Anteil, den Wladimir Iljitsch Lenin, als Gründer der Bolschewiki und Führer der Oktoberrevolution, an diesem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Sowjetunion hatte. Als Grundlage dient dafür das XII. Kapitel aus dem Kurzen Abriss des Lebens und Wirkens von W.I. Lenin, der 1947 im Verlag für Fremdsprachige Literatur in Moskau erschien.

W.I. Lenin

LENIN hatte geschickt das Sowjetschiff durch die Stürme des Bürgerkrieges gesteuert. Aber der Revolution standen neue drohende Gefahren bevor. Die Partei der Bolschewiki stieß beim Übergang vom Krieg zum Frieden auf neue gigantische Schwierigkeiten. Das Land war durch die langjährigen Kriege und durch die Intervention ruiniert. Industrie, Verkehrswesen und Landwirtschaft waren zer­rüttet. Die Volksmassen waren ermüdet. Die Bauernschaft schwankte, war unzufrieden mit der Ablieferungspflicht. Auf der Basis des Hungers und der Ermüdung machte sich bei einem Teil der Arbeiter Unzufriedenheit bemerkbar. Der Klassenfeind versuchte, die schwere Wirtschaftslage des Landes und die Unzufriedenheit der Bauern für konter­revolutionäre Zwecke auszunutzen. Es bedurfte der An­spannung aller Kräfte der Arbeiterklasse, um der Schwierig­keiten Herr zu werden. Lenin zeichnete genial den Weg zur Überwindung der Zerrüttung, zur Wiederherstellung und sozialistischen Umgestaltung der Volkswirtschaft.

In den Jahren des Bürgerkrieges hatten die militärischen Fragen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Lenins gestan­den. Alle Tage, und häufig auch die Nächte, waren von den Aufgaben der Verteidigung in Anspruch genommen worden. Nunmehr, seit November 1920, arbeitet Lenin an­gestrengt am Ausbau der Wirtschaftspolitik. In der Tat­sache des Sieges des Sowjetstaates über die Interventen und Weißgardisten sah er noch eine Bestätigung für die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in Russland. In der Moskauer Konferenz der Bolschewiki im November 1920 wies Lenin darauf hin, dass „die kommunistische Gesellschaftsordnung, Gesellschaftsform, von einem Pro­letariat, das im Kriege gesiegt hat geschaffen werden kann“.1

Im Dezember 1920 entwickelte Lenin von der Tribüne des VIII. Allrussischen Sowjetkongresses aus den Plan für die Wiederherstellung und Umgestaltung der Volkswirt­schaft des Landes, den Plan der Schaffung des wirtschaft­lichen Fundaments für den Sozialismus. Er stellt die Auf­gabe, die Schwerindustrie wiederherzustellen und mit allen Kräften zu entwickeln, der gesamten Wirtschaft, ein­schließlich der Landwirtschaft, eine neue technische Basis moderner maschineller Großproduktion zu geben. Diese Basis war die Elektrifizierung. „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes…“, sagte Lenin auf dem Kongress. „Erst dann, wenn das Land elektrifiziert sein wird, wenn die Industrie, die Landwirt­schaft und das Verkehrswesen als technische Basis eine moderne Großindustrie erhalten haben werden, erst dann wird der Sieg endgültig unser sein.“2

Das war der historische Plan der Elektrifizierung des Landes, – der Goelro-Plan (der Plan der Staatlichen Kommission für die Elektrifizierung Russlands), ausgearbei­tet auf Initiative und unter Leitung Lenins, mit Beteiligung von annähernd zweihundert der besten Repräsentanten der Wissenschaft und Technik. In diesem Plan ließ Lenin die Zukunft in hellem Licht erstrahlen. Er lehrte, die maschi­nelle Großindustrie sei die einzig mögliche wirtschaftliche Grundlage für den Sozialismus. Nur eine mächtige, auf die Elektrifizierung des Landes gegründete Industrie vermöge die Umgestaltung der. zersplitterten bäuerlichen Einzel­wirtschaft und ihre Überleitung auf die Geleise der sozia­listischen Großlandwirtschaft zu gewährleisten.

Meiner Ansicht nach“, sagte Lenin von dem Plan der Elektrifizierung des Landes, „ist das unser zweites Partei­programm.“3

Es war das ein grandioser Plan des Umbaus der ganzen Volkswirtschaft nach sozialistischen Prinzipien. Dem Pro­letariat wurde eine in ihrem Ausmaß gigantische und in der Kühnheit, Weite und Geschlossenheit des Gedankens noch nicht dagewesene Aufgabe gestellt. Und gleichzeitig war das eine wissenschaftlich begründete und praktisch durchaus durchführbare Aufgabe. Sie bestand darin, im Verlauf von 10-20 Jahren das Antlitz der unermesslich großen russischen Hei­mat völlig zu verändern, die Volkswirtschaft von Grund auf umzugestalten, die sozialistische Gesellschaft zu errichten. In den Verhältnissen des damaligen Elends und Ruins schien der von Lenin entworfene Plan vielen als ein un­erfüllbarer Traum. Nur ein Lenin konnte so kühn in die Zukunft schauen, da er an die Kräfte der Massen glaubte sowie an ihre Fähigkeit, Wunder zu vollbringen. Das Leben bestätigte die geniale Voraussage Lenins. Unter Leitung des Genossen Stalin ist der Leninsche Plan der Elektrifizierung des Landes übererfüllt worden.

Lenin sah voraus, dass die Erfolge des sozialistischen Aufbaus in Russland als Beispiel und Vorbild für das siegreiche Proletariat eines jeden beliebigen kapitalisti­schen Landes dienen werden. Er erklärte: „Wenn Russland mit einem dichten Netz von elektrischen Kraftwerken und mächtigen technischen Anlagen bedeckt sein wird, dann wird unser kommunistischer Wirtschaftsaufbau zum Vorbild für das kommende sozialistische Europa und Asien werden.“4

Lenin und Stalin machten die Versuche der Trotzkisten und Rykowanhänger, den Plan der Elektrifizierung des Landes zu vereiteln, zunichte. In einem Brief an Lenin im März 1921 gab Stalin eine vernichtende Kritik der Position der Trotzkisten und Rykowanhänger und gleichzeitig eine allseitige Würdigung des Goelro – Planes. „Ein meisterhafter Entwurf eines wirklich einheitlichen und wirklich staatlichen Wirtschaftsplans ohne Anführungsstriche. Der einzige marxistische Versuch in unserer Zeit, dem Sowjetüberbau des wirtschaftlich rückständigen Russland eine wirklich reale und unter den jetzigen Bedingungen einzig mögliche technische Produk­tionsbasis zu geben.“5

Mit der Beendigung des Bürgerkrieges und dem Über­gang zum friedlichen Wirtschaftsaufbau erhob sich vor der Partei die Frage der Ausarbeitung einer neuen Stellung­nahme zu allen Problemen des wirtschaftlichen Lebens des Landes. Für das Zentralkomitee war es klar, dass das System des Kriegskommunismus sich schon erschöpft hatte. Die Notwendigkeit der Ablieferungspflicht war entfallen: den Bauern musste die Möglichkeit gegeben werden, einen großen Teil ihrer Produktionsüberschüsse selbst auszunutzen. Das würde gestatten, die Landwirtschaft und den Warenver­kehr zu beleben, die Industrie zu heben, die Versorgung der Städte zu verbessern, eine neue wirtschaftliche Grundlage für das Bündnis der Arbeiter und Bauern zu schaffen.

Lenin war der Auffassung, dass der Umbau der ökono­mischen Grundlage des Landes nach sozialistischen Prin­zipien, eine Heilung der schweren Wunden, die Kriege und Interventionen der Volkswirtschaft geschlagen hatten, nur möglich sei auf der Grundlage der breitesten Heranziehung der Arbeiterklasse und ihrer gewerkschaftlichen Organi­sationen zu dieser Arbeit. Er betonte, man müsse durch­setzen, dass die Arbeiter und Bauern die Unmöglichkeit be­griffen, auf alte Weise zu leben, die Notwendigkeit ein­sähen, die alten ökonomischen Existenzbedingungen zu ändern, und den großen Wirtschaftsplan in die Tat um­setzten. Auf den ersten Platz rückten die Aufgaben der Aufklärungs- und Erziehungsarbeit. Wir müssen, sagte Lenin, „für alle neuen Produktionsaufgaben eine auf Überzeugung gegründete breite und solide Basis“6 schaffen.

In diesem gespannten Augenblick, bei der scharfen Wen­dung vom Krieg zum friedlichen Wirtschaftsaufbau, traten die Trotzkisten gegen Lenin und die Partei auf. Die trotzkistische Politik der sofortigen Verstaatlichung und der „Durchrüttelung der Gewerkschaften“, des nackten Zwangs und des Kommandierens gegenüber den Massen, verfolgte ein einziges Ziel: die Arbeiter gegen die Partei aufzuwiegeln, die Arbeiterklasse zu spalten. Diese Politik war verderblich für die Diktatur des Proletariats. Im Gefolge der Trotzki­sten traten auch die anderen parteifeindlichen Gruppen auf: die „Arbeiteropposition“, die „demokratischen Zentralisten“ und die „linken Kommunisten“. Sie zwangen der Partei die sogenannte Gewerkschaftsdiskussion auf.

Lenin richtete mit der ihm eigenen Entschiedenheit und Unversöhnlichkeit vernichtende Schläge gegen all diese Feinde der Partei, gegen die Zerstörer der Parteieinheit. Das Auftreten der Trotzkisten und der anderen partei­feindlichen Gruppen betrachtete Lenin als einen Feldzug gegen die Diktatur des Proletariats, als einen Versuch, das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft zu sprengen.

Lenin wandte sich auf dem Plenum des Zentralkomitees im November 1920 unverzüglich gegen die politisch schäd­liche und gefährliche trotzkistische Plattform. Am 30. De­zember 1920 hielt Lenin in einer Versammlung der bol­schewistischen Deputierten des VIII. Sowjetkongresses und der Funktionäre der Gewerkschaftsbewegung eine Rede über die Gewerkschaften. Er überführte die Trotzkisten der Verwechslung der Gewerkschaften mit militärischen Organisationen, entlarvte ihren Versuch, die Gewerkschaf­ten der Partei entgegenzustellen und zeigte die Gefährlich­keit der trotzkistischen und der anderen parteifeindlichen Plattformen für die Diktatur des Proletariats auf. Den Hauptschlag richtete Lenin gegen die Trotzkisten als die Hauptkraft der parteifeindlichen Gruppierungen.

Im Januar 1921 wandte sich Lenin gegen die oppositio­nellen Gruppen mit dem Artikel „Die Krise der Partei“ und mit der Broschüre „Noch einmal über die Gewerk­schaften“. Darin verfocht und entwickelte Lenin die marxi­stische Auffassung der Gewerkschaften in der Epoche der Diktatur des Proletariats als eines Reservoirs der Staats­macht, als einer Schule des Zusammenschlusses und der Solidarität, einer Schule der Verwaltung und der Wirt­schaftsführung, einer Schule des Kommunismus. Er entlarvte das antimarxistische, theoretisch und politisch falsche Herangehen der Trotzkisten sowie der Anhänger Bucharins und Schljapnikows an die Gewerkschaftsfrage, wies nach, dass sie die Dialektik durch Eklektizismus ersetzen. Lenin rief die Partei auf, allen antibolschewistischen Grup­pen eine entschiedene Abfuhr zu erteilen.

Das größte Verdienst Lenins in der Gewerkschaftsdiskus­sion besteht darin, dass er den wirklichen Sinn des inner­parteilichen Kampfes aufdeckte. Er zeigte, dass der Kampf aller parteifeindlichen Gruppen gegen die führende Rolle der Partei gerichtet war, gegen das Bündnis der Arbeiter­klasse und der Bauernschaft, gegen die Diktatur des Pro­letariats. Eine treue Stütze Lenins in diesem Kampf war Stalin. Lenin und Stalin behaupteten die Einheit der Partei gegen die frechen Angriffe der Feinde des Leninismus.

Im März 1921 wurde der X. Parteitag der bolschewisti­schen Partei eröffnet. Der Parteitag war von Lenin vorbereitet worden und wurde von ihm geleitet. Lenin war Berichterstatter zu allen Hauptfragen: zur Frage der poli­tischen Tätigkeit des Zentralkomitees der KPR(B), der Naturalsteuer, der Einheit der Partei und der anarcho-syndikalistischen Abweichung. Er hatte die Entwürfe der wichtigsten Resolutionen vorbereitet.

Die Arbeit des Parteitags verlief in einem der kritischsten Augenblicke in der Geschichte der Revolution. Im Februar und März war im Lande eine äußerst heftige Lebensmittel-, Brennstoff- und Verkehrskrise ausgebrochen. Die Schwan­kungen in der Bauernschaft waren stärker geworden. Eine Woche vor dem Parteitag hatte die Kronstädter Meuterei angefangen – ein neuer Versuch der Konterrevolution, die Sowjetmacht zu stürzen. Die Partei der Bolschewiki hatte eben erst eine erbitterte Diskussion hinter sich.

Der von Lenin geleitete Parteitag war ein Wendepunkt sowohl hinsichtlich des Zusammenschlusses der Partei der Arbeiterklasse wie auch hinsichtlich der Ausarbeitung der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP).

Im Bericht und in den Reden zur Frage der Einheit der Partei kritisierte Lenin scharf und schneidend alle opposi­tionellen Gruppen, ihre antimarxistischen Anschauungen und prinzipienlose Politikasterei und enthüllte ihren ideolo­gischen Zusammenhang mit der kleinbürgerlichen Konter­revolution. Er erklärte, Hauptergebnis und wichtigste Lehre der Diskussion sei die Notwendigkeit, auf das entschie­denste gegen die Fraktionsmacherei, für die Einheit der Partei zu kämpfen; der Parteitag müsse diese Lehre ziehen und sie in ein für alle Mitglieder der Partei verpflichtendes Gesetz verwandeln. Er zeigte der Partei, was die Erfahrun­gen aller vergangenen Revolutionen lehren. Er zeigte, dass die geringste Schwächung der Einheit der Partei – der Avantgarde des Proletariats – es den Kapitalisten und Gutsbesitzern erleichtert, ihre Macht und ihr Eigentum wiederherzustellen. Mit bewundernswertem Scharfsinn entlarvte Lenin die neue Taktik der Klassenfeinde, die ihre Hoffnung auf den Kampf innerhalb der Kommunistischen Partei setzten, auf die Ausnutzung jeder Art oppositioneller Gruppen. „Diese Feinde“, betonte die Leninsche Resolu­tion, „die sich davon überzeugt haben, dass die Konter­revolution unter offen weißgardistischer Flagge hoffnungs­los ist, verwenden jetzt alle Anstrengungen darauf, um unter Ausnutzung der Meinungsverschiedenheiten inner­halb der Kommunistischen Partei Russlands die Konterrevolution auf diese oder jene Weise zu fördern, und zwar durch Auslieferung der Macht an politische Gruppierungen, die der Anerkennung der Sowjetmacht äußerlich am näch­sten stehen.“7

Auf Antrag Lenins nahm der Parteitag die Resolution „Über die Einheit der Partei“ an. Ihre Bedeutung für die Zerschlagung der antileninistischen Gruppierungen und für die Festigung der Einheit der bolschewistischen Partei war außerordentlich groß.

Vom Parteitag wurde ebenfalls eine von Lenin vorgelegte und sich eng an die Resolution „Über die Einheit der Par­tei“ anschließende andere Resolution „Über die syndika­listische und anarchistische Abweichung in unserer Partei“ angenommen. Darin verurteilte der Parteitag die soge­nannte „Arbeiteropposition“ und erklärte die Propaganda von Ideen der anarcho-syndikalistischen Abweichung für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei. Der Parteitag rief die Partei zum Kampf gegen diese Abweichung auf.

Lenin ergriff entschiedene Maßnahmen zur Stärkung des Stabes der Revolution – des Zentralkomitees. In das Zen­tralkomitee wurden standhafte und erprobte Bolschewiki gewählt: Lenin, Stalin, Molotow, Woroschilow, Kalinin, Dzierzynski, Ordshonikidse, Frunse, Kirow, Kuibyschew und andere.

Lenin brachte der Opposition eine Niederlage bei, schloss dadurch die Partei zusammen und bereitete sie zu neuen Schlachten mit den Feinden, zum neuen Kampf gegen die Schwierigkeiten vor. Das sicherte den Erfolg der scharfen Wendung der Partei in der ökonomischen Politik.

Lenin war der Schöpfer und Initiator des historischen Beschlusses des X. Parteitags über den Übergang von der Ablieferungspflicht zur Naturalsteuer, den Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik.

Lange vor dem Parteitag durchdachte Lenin sorgfältig und allseitig die Frage der Wege und Formen für den Aufbau des Sozialismus in einem kleinbäuerlichen Land, der gegenseitigen Beziehungen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, einer neuen ökonomischen Grundlage ihres Bündnisses. In seiner Rede in einer Diskussionsversammlung am 30. Dezember 1920 verwies er darauf, dass durch den Übergang vom Krieg zum Wirtschaftsaufbau „sich das Verhältnis der Klasse des Proletariats zur Klasse der Bauernschaft ändert“, dass „man das aufmerksam beob­achten muss“, dass „solange wir diese Beobachtung nicht angestellt haben, man abzuwarten verstehen muss“8. Und Lenin beobachtete aufmerksam und unverwandt, was in der Bauernschaft vor sich geht, studierte die Materialien, die Briefe der Bauern, unterhielt sich wiederholt mit Bauern. Im Dezember 1920 nahm Lenin an einer Be­ratung der parteilosen Bauerndelegierten des Allrussischen Sowjetkongresses teil. Er hörte aufmerksam den sich in der Beratung entwickelnden heißen Diskussionen über die brennendsten Fragen des Bauernlebens zu, notierte sorgfältig die Äußerungen der parteilosen Bauern. Seine Aufzeichnungen versandte Lenin an die Mitglieder des Zentralkomitees und die Volkskommissare, damit sie sich bekannt machten mit den Nöten der Bauern.

Am 8. Februar verfasste Lenin den „Provisorischen Vor­entwurf von Thesen betreffs der Bauern“. In ihm wurde folgendes in den Vordergrund gerückt:

1. Dem Wunsch der parteilosen Bauernschaft nach Er­setzung der Ablieferungspflicht (im Sinne der Abgabe aller Überschüsse) durch eine Getreidesteuer ist zu entsprechen.

2. Die Höhe dieser Steuer ist im Vergleich zu dem Um­fang der vorjährigen Ablieferungspflicht herabzusetzen.

3. Das Prinzip, wonach die Höhe der Steuer in Einklang stehen soll mit der aufgewandten Mühe des Landwirts in dem Sinne, dass der Steuersatz bei erhöhtem Müheaufwand des Landwirts erniedrigt wird, ist zu billigen.

4. Die Freiheit des Landwirts, seine über die Steuer hinausgehenden Überschüsse im örtlichen Wirtschaftsver­kehr auszunutzen, unter der Bedingung der schnellen und vollständigen Entrichtung der Steuer, ist zu erweitern.9

So wurde in diesem bescheiden als „Provisorischer Vorentwurf“ bezeichneten Dokument der Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik umrissen.

In Lenins Bericht auf dem Parteitag „Über die Naturalsteuer“ wurde der Übergang zur NÖP theoretisch allseitig begründet, die grundlegende politische Aufgabe – die not­wendige Herstellung des ökonomischen Bündnisses der Ar­beiterklasse mit der Bauernschaft beim Aufbau des Sozia­lismus – klar und genau formuliert.

Der Leninsche Plan der Neuen Ökonomischen Politik setzte sich die Aufgabe, das Fundament der sozialistischen Ökonomik mit den Kräften der Arbeiter und Bauern auf­zubauen. Der erste Schritt der NÖP war die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch eine ihrem Ausmaß nach niedrigere Naturalsteuer. Die Bauern erhielten die Mög­lichkeit, über ihre Überschüsse frei zu verfügen. Lenin ver­wies darauf, dass die Freiheit des Handels zunächst zu einem gewissen Aufleben des Kapitalismus im Lande füh­ren werde, dass man das aber nicht zu fürchten brauche. Lenin war der Auffassung, dass eine bestimmte Freiheit des Warenumsatzes wirtschaftliche Interessiertheit beim Bauern hervorrufen, die Produktivität seiner Arbeit stei­gern und zu einem raschen Aufschwung der Landwirt­schaft führen wird. Auf dieser Grundlage wird die Wieder­herstellung der staatlichen Industrie schnellen Schrittes vorwärtsschreiten, wird das Privatkapital verdrängt wer­den. Nachdem man Kräfte und Mittel angesammelt hat, wird man eine mächtige Industrie schaffen können – die ökonomische Grundlage des Sozialismus – und dann zur entscheidenden Offensive übergehen, um die Überreste des Kapitalismus im Lande zu vernichten.

Lenin zeigte, dass der durch den Krieg und die Zerrüt­tung erzwungene Kriegskommunismus keine Politik war und sein konnte, die den wirtschaftlichen Aufgaben des Proletariats und der Hauptmassen der Bauernschaft unter den neuen Bedingungen entsprach. Es war das eine zeit­weilige Maßnahme gewesen.

Der Kriegskommunismus war der Versuch, die Festung der kapitalistischen Elemente in Stadt und Land im Sturm zu nehmen. In dieser Offensive war die Partei weit voraus­geeilt und lief dabei Gefahr, sich von ihrer Basis loszu­lösen. Lenin schlug vor, sich zeitweilig etwas näher zum eigenen Hinterland zurückzuziehen, vom Sturme zu einer langwierigeren Belagerung der Festung überzugehen, um nach Sammlung der Kräfte die Offensive von neuem zu beginnen. Die Trotzkisten und die anderen parteifeind­lichen Gruppierungen, die Kurs auf die Wiederherstellung des Kapitalismus in unserem Lande hielten, versuchten, die Neue Ökonomische Politik einzig als kompletten Rück­zug darzustellen. Diese zutiefst schädliche parteifeindliche Deutung der NÖP fertigte Lenin auf das entschiedenste ab.

So vollzog die Partei der Bolschewiki in einer äußerst gespannten Situation unter der Führung Lenins die scharfe Wendung vom Kriegskommunismus zur Neuen Ökonomi­schen Politik, wodurch sie das feste ökonomische Bünd­nis der Arbeiterklasse und der Bauernschaft für den Auf­bau des Sozialismus sicherstellte. In dieser Wendung zeigte sich die geniale revolutionäre Voraussicht Lenins, zeigte sich die Weisheit der Leninschen Politik.

Nach dem X. Parteitag ist das Wichtigste in der Tätig­keit Lenins die Neue Ökonomische Politik, ihre theoretische Ausarbeitung und Erklärung, ihre praktische Umsetzung in die Tat, die Umstellung des ganzen wirtschaftlichen Auf­baus auf den Grundlagen der NÖP.

Sofort nach dem Parteitag begann Lenin seine bekannte Schrift „Über die Naturalsteuer“, die er im April beendete. Lenin zeigte darin den Zusammenhang der Neuen Ökono­mischen Politik mit dem Plan für die Inangriffnahme des sozialistischen Aufbaus, den er schon im Frühjahr 1918 ausgearbeitet hatte, und gab eine allseitige und erschöp­fende Begründung der NÖP als der Politik, die die Errich­tung des Sozialismus sichert. Lenin zeigte, dass die Sowjet­ökonomik dieser Periode ein Übergang ist; in ihr sind die Elemente von fünf verschiedenen sozialökonomischen Formen kombiniert: die patriarchalische bäuerliche Wirtschaft, die in hohem Grade Naturalwirtschaft ist; die kleine Warenproduktion (hierzu gehört die Mehrheit der Bauern, die Getreide verkaufen); der privatwirtschaftliche Kapi­talismus; der Staatskapitalismus; der Sozialismus. Es be­durfte einer solchen Form des Übergangs zum Sozialismus; die der bäuerlichen Ökonomik Rechnung trug, von ihr ausging. Die Neue Ökonomische Politik war auf den Sieg des Sozialismus, auf die Hineinziehung der Hauptmassen der Bauernschaft in den sozialistischen Aufbau berechnet. Die Hauptaufgabe der NÖP bestand darin, die ökonomische Basis des Sozialismus aufzubauen, das Fundament der so­zialistischen Ökonomik zu erbauen, die bäuerliche kleine Warenwirtschaft auf die Bahn der sozialistischen Groß­produktion überzuleiten.

Im April erstattete Lenin Bericht in einer Versammlung des Moskauer Parteiaktivs, im Mai in der X. Allrussischen Konferenz der bolschewistischen Partei, im Sommer auf dem III. Kongress der Komintern, im Herbst auf dem II. All­russischen Kongress der Vertreter der politischen Auf­klärungseinrichtungen und in der Parteikonferenz des Moskauer Gouvernements. Damals schrieb er auch die be­kannten Artikel „Zum vierten Jahrestag der Oktober­revolution“ und „Über die Bedeutung des Goldes jetzt und nach dem vollen Sieg des Sozialismus“. In allen diesen Reden, Berichten und Artikeln erklärte Lenin den Sinn der Neuen Ökonomischen Politik, ihre Aufgaben, die Wege und Methoden zu ihrer Durchführung und strebte un­entwegt danach, dass sie in die Tat umgesetzt werde.

Die NÖP bedeutet, betonte Lenin unermüdlich, einen verzweifelten Kampf auf Tod und Leben zwischen Kapita­lismus und Sozialismus, einen Kampf um die Frage „Wer – wen?“. Lenin lehrte die Partei, mit allen Kräften die Diktatur des Proletariats und ihre Grund­lage – das Bündnis der Arbeiter und Bauern – zu festigen, unablässig gegen die Ränke der Klassenfeinde zu kämpfen.

Lenin rief die Partei auf, beharrlich die militärische Macht unseres Staates zu stärken. „Seid auf der Hut“, erklärte er häufig, „hütet die Wehrfähigkeit unseres Lan­des und unserer Roten Armee wie euren Augapfel, und denkt daran, dass wir kein Recht haben, eine Schwä­chung … auch nur für einen Augenblick zuzulassen.10 Wir dürfen uns nicht überraschen lassen. „Wir haben eine Periode von Kriegen abgeschlossen, wir müssen uns auf die zweite vorbereiten; aber wann sie anbrechen wird, wissen wir nicht, und man muss alles tun, um dann, wenn sie anbricht, auf der Höhe zu sein.11

Lenin zeigte, dass die Neue Ökonomische Politik von internationaler Bedeutung ist. „In der Tat ist das eine Aufgabe, vor der alle Sozialisten stehen werden… Die neue Gesellschaft, die auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern gegründet sein wird, ist unvermeidlich. Ob früher oder später, ob zwanzig Jahre früher oder zwanzig Jahre später, sie wird kommen, und für sie, für diese neue Ge­sellschaft, helfen wir die Formen eines Bündnisses der Arbeiter und Bauern auszuarbeiten, wenn wir daran ar­beiten, über unsere Neue Ökonomische Politik zu entscheiden.12

Die staatsmännische Tätigkeit Lenins als des Hauptes der Regierung der ersten Sowjetrepublik der Welt war in dieser Periode außerordentlich verschiedenartig und viel­seitig: Bau von Kraftwerken und Genossenschaften, Aus­saatkampagne und Fischfang, Verkehrswesen und elek­trische Pflüge, Kampf gegen den Hunger und Außenhan­del, Finanzen und Verbesserung der Lebenshaltung der Gelehrten, Schrämm-Maschinen für das Donezbecken und Radio, Schulen und Tankwagen für Erdöl, die Versorgung der Arbeiter Moskaus und Petrograds und ein geographi­scher Schulatlas, Hydrotorfverfahren und ein Wörterbuch der modernen russischen Sprache „von Puschkin bis Gorki“ – mit all diesen und noch vielen anderen Fragen machte Lenin sich in allen Einzelheiten bekannt, beschäf­tigte sich mit ihnen allen. Er berücksichtigte die neuesten Errungenschaften der einheimischen und ausländischen Wissenschaft und Technik, traf Maßnahmen, um alles, was eine rasche wirtschaftliche Wiedergeburt des Landes fördern konnte, im höchsten Maße auszunutzen und in unserer Wirtschaft einzuführen.

Im Mittelpunkt der gesamten Arbeit Lenins jedoch stand die Liquidierung der Wirtschaftskrise, die Durchführung des Plans für den sozialistischen Aufbau auf den Bahnen der Neuen Ökonomischen Politik.

Lenin leitete fest und beharrlich den Rückzug, den die Partei der Bolschewiki zu Beginn der NÖP angetreten hatte. Er sah klar voraus, dass dieser Rückzug „eine breitere Front für die Offensive in der nächsten Zukunft“ geben und „das Bündnis der Arbeiter und Bauern, die Grundlage un­serer ganzen Sowjetrevolution, unserer ganzen Sowjetrepublik, unbesiegbar“ machen wird. Diese Offensive sollte nach der Idee Lenins den Zusammenschluss mit der Bauernwirtschaft, die Befriedigung ihrer unaufschiebbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse, das feste ökonomische Bünd­nis mit ihr, die „Steigerung der Produktivkräfte in erster Linie, die Wiederherstellung der Großindu­strie13 sicherstellen. Dieser Frage widmete Lenin viel Kraft, Aufmerksamkeit und Energie.

Große Aufmerksamkeit schenkte Lenin der Organisie­rung der Planung der Volkswirtschaft. „Man kann nicht arbeiten, ohne einen Plan zu haben, der auf eine längere Zeit berechnet ist und auf ernste Erfolge zielt14, sagte er. Auf seine Initiative wurde die Staatliche Plankommission (Gosplan) geschaffen. Die Hauptaufgabe des Gosplans war die Ausarbeitung eines einheitlichen staatlichen Wirt­schaftsplans und die Überwachung seiner Durchführung. Er sollte das gesamte Wirtschaftsleben des Landes leiten im Interesse der Vergrößerung des gesellschaftlichen Reichtums, der unentwegten Hebung des materiellen und kulturellen Niveaus der Werktätigen, der Festigung der Unabhängigkeit und der Stärkung der Wehrfähigkeit der Sowjetrepublik. Die Verwirklichung des von Lenin ent­worfenen Programms der Errichtung des Sozialismus setzte ein Wachsen des Planelements voraus, seine Stär­kung in unserer Wirtschaft sowie eine immer größere Einwirkung der Diktatur des Proletariats auf den ge­samten Verlauf des wirtschaftlichen Lebens des Landes.

Lenin verfolgte aufmerksam die Arbeit des Gosplans, be­stimmte ihre Richtung, wählte den Stamm der Mitarbeiter aus, gab ihm leitende Anweisungen. Er trat unablässig dafür ein, dass die Planung nicht von dem realen Boden losgerissen wird; er forderte, dass neben dem auf eine Reihe von Jahren berechneten Plan, der die Perspektive gab, Jahrespläne und Pläne für einige Monate aufgestellt wür­den. Er stellte die Aufgabe, die Pläne zu erfüllen und überzuerfüllen, um „die Periode des Hungers, der Kälte und des Elends abzukürzen“.

Lenin hatte die tägliche Leitung inne bei der Durch­führung des Planes für die Elektrifizierung des Landes. Er verfolgte aufmerksam den Verlauf des Baus der in dem Plan vorgesehenen Kraftwerke, besonders der Werke von Kaschira und Wolchow als der ersten nach dem Goelro -Plan geschaffenen Kraftwerke, beschäftigte sich mit den Fragen der Versorgung der Neubauten mit Materialien, Maschinen und Lebensmitteln, verfolgte die rechtzeitige Lieferung der Ausrüstung, Materialien und Apparaturen für die Bauten, überwachte die Qualität der Bauarbeiten, prüfte, inwieweit die Betriebe zur Entnahme des Stroms der neuen Kraftwerke bereit seien. Lenin mobilisierte die Partei und die werktätigen Massen für den Kampf um die erfolgreiche Erfüllung des ersten Volkswirtschaftsplans.

Entsprechend dem Plan für die Hebung der Landwirt­schaft, für die Wiederherstellung der Industrie und des Verkehrswesens wurde der Wirtschaftsapparat des Landes organisiert. Von großer Bedeutung für die Erfüllung dieser Aufgaben war die von Lenin ausgearbeitete „Instruktion des Rates für Arbeit und Verteidigung für die örtlichen Sowjetinstitutionen“ über die Hauptaufgaben auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Aufbaus.

Lenin, der dieser „Instruktion“ außerordentliche Bedeu­tung beimaß, betrieb mit der ihm eigenen Beharrlichkeit die Lösung dieser Frage. Die „Instruktion“ wurde auf dem IV. Allrussischen Gewerkschaftskongress, auf dem IV. Kon­gress der Volkswirtschaftsräte und auf der X. Allrussischen Parteikonferenz erörtert. Aus Anlass der „Instruktion“ schrieb Lenin eine Reihe von Briefen und hielt eine Rede im Allrussischen Zentralexekutivkomitee.

Mit nicht nachlassender Aufmerksamkeit prüfte Lenin nach, wie die „Instruktion“ an Ort und Stelle durchgeführt wurde, er betrachtete sie als den Beginn der Verwirklichung seines Gedankens der Massenkontrolle und -prüfung der Arbeit des Zentrums durch die einzelnen Orte, als Mittel, die der Sache des sozialistischen Aufbaus ergebenen Partei­losen in die Organe der staatlichen Verwaltung des Landes einzubeziehen.

Die Heranziehung der Massen zur Verwaltung des Staates betrachtete Lenin als eine der wichtigsten Aufgaben. Er lehrte ständig, die Sowjetmacht strebe danach, alle Werktätigen – Parteimitglieder und Parteilose, Männer und Frauen – zur aktiven Teilnahme am staatlichen und wirtschaftlichen Aufbau heranzuziehen.

Indem Lenin die Massen erzog, lernte er gleichzeitig bei den Massen. Lenin geißelte schonungslos alle, die sich den Massen gegenüber herablassend verhielten, die versuchten, sie lediglich zu belehren, und dabei die Notwendigkeit vergaßen, bei den Massen zu lernen, den Sinn ihres Han­delns zu erfassen, die praktischen Erfahrungen des Kampfes der Massen sorgfältig zu studieren und zu ver­allgemeinern.

Durch Tausende von Fäden war Lenin mit den breite­sten Massen der Arbeiter und Bauern verbunden, und beharrlich, suchte und erstrebte er die Herstellung neuer Verbindungen. Im Januar 1922 schrieb Lenin an den Redakteur der Zeitung „Bednota“ (Die Dorfarmut): „Schrei­ben Sie mir doch kurz (2-3 Seiten höchstens). Wieviel Briefe von Bauern gibt es in der ,Bednota‘? Was gibt es Wichtiges (besonders Wichtiges) und Neues in diesen Briefen? Stimmungen? Tagesfragen? Ist es nicht möglich, einmal in zwei Monaten ebenfalls Briefe zu bekommen?15

Zusammenkünfte, Unterhaltungen mit Arbeitern und Bauern, Reden in Meetings, in großen Produktionskonfe­renzen der Gewerkschaften, in Konferenzen parteiloser Arbeiter und Bauern, in Beratungen parteiloser Kongress­delegierter, in zahlreichen Versammlungen, Unterhaltungen mit Arbeiterkorrespondenten, Dorfkorrespondenten, Stu­dium der empfangenen Briefe – das waren die Quellen für die Verbindung Lenins mit den Massen.

Festester Glaube an die Massen war der Zug, der Lenin auszeichnete. Die Verbindung mit den Massen festigen, das prägte Lenin der Partei ständig ein. „Wir können nur dann regieren, wenn wir richtig zum Ausdruck bringen, was das Volk erkennt16, erklärte Lenin im Frühjahr 1922 auf dem XI. Parteitag. Das Volk wusste, dass es von Lenin geliebt wurde, und vertraute ihm grenzenlos. Die Arbeiter sagten: „Lenin – das sind wir selber.

In seiner Rede auf dem Gedenkabend der Kreml-Kur­santen charakterisierte Genosse Stalin den Glauben Lenins an die Massen folgendermaßen: „Ich kenne keinen anderen Revolutionär, der so fest an die schöpferischen Kräfte des Proletariats und an die revolutionäre Zweckmäßigkeit des proletarischen Klasseninstinktes geglaubt hätte wie Lenin… Daher Lenins unermüdliches Mahnen: von den Massen lernen, den Sinn ihres Handelns erfassen, die praktische Erfahrung des Kampfes der Massen sorgfältig studieren.

Glaube an die schöpferischen Kräfte der Massen – das ist gerade jene Besonderheit im Wirken Lenins, die es ihm ermöglichte, das Wirken der spontanen Kräfte zu er­fassen und ihre Bewegung in die Bahn der proletarischen Revolution zu leiten.17

Lenin, der Wichtigtuerei nicht duldete und in allem Schlichtheit und Bescheidenheit forderte, war selbst ein Vorbild einer solchen außerordentlichen Bescheidenheit. Die Arbeiter sagten über die Schlichtheit Lenins: „Schlicht wie die Wahrheit.“ „Diese Schlichtheit und Bescheiden­heit Lenins, dieses Bestreben, unbemerkt zu bleiben oder jedenfalls nicht aufzufallen und seine hohe Stellung nicht hervorzukehren – dieser Zug ist eine der stärksten Seiten Lenins als des neuen Führers neuer Massen, der einfachen und gewöhnlichen Massen der ,untersten‘ Schichten der Menschheit.18

Lenin wies dem Staatsapparat eine äußerst wichtige Rolle zu bei der sozialistischen Umgestaltung des Landes und der Festigung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft.

Lenin war ein Feind jeder Schlamperei und jedes Bürokratismus. Er ergriff die entschiedensten Maßnahmen gegen Bürokraten und Bummler. Er verwies auf die Un­zulässigkeit eines formalen Verhaltens gegenüber jeder beliebigen Frage seitens der Sowjetbehörden, die dazu berufen seien, gegen den Bürokratismus zu kämpfen. Er forderte, dass mit Schlamperei und Bürokratismus ver­bundene Angelegenheiten dem Gericht übergeben würden, betrachtete es als notwendig, dass die Richter Schlamperei streng bestraften und verwies darauf, dass „die Richter durch das Zentralkomitee zu genauer Pflichterfüllung an­gehalten“ werden müssten.

Im September 1921 wies Lenin den Volkskommissar für Justiz in einem besonderen Brief an, im Verlauf des Herbstes und des Winters unbedingt vier bis sechs Fälle von Moskauer Schlamperei vors Moskauer Gericht zu bringen, möglichst „krasse“ Fälle auszuwählen und aus jeder Gerichtsverhandlung eine „politische“ Angelegenheit zu machen. Einige kluge „Fachleute“ für Sachen der Schlamperei zu finden, die besonders sachkundig „hinter der Schlamperei her“ sein sollen; einen unmissverständ­lichen Brief über den Kampf gegen die Schlamperei herauszugeben.

Lenin duldete keinen Betrug und war besonders streng gegen diejenigen, die sozialistisches Eigentum stahlen. Er ergriff die entschiedensten Maßnahmen in allen Fällen, die Unterschlagung von Staatsgeldern oder Diebstahl von staatlichem Eigentum betrafen. Lenin konnte man nicht betrügen. In allem forderte er Offenheit und Wahr­heit.

Im Jahre 1921 kam ein Rotarmist nach Moskau, um Lenin Mitteilung zu machen von Missbrauch der Amtsgewalt und Diebstählen einiger Funktionäre des Don­gebiets. In einem Brief an Lenin wies dieser Genosse darauf hin, dass diese Handlungen große Unzufriedenheit unter den Arbeitern und werktätigen Bauern hervorrufen. Lenin sandte eine Abschrift des Briefes unverzüglich an den Sekretär des Zentralkomitees, Genossen Molotow, und schlug vor, eine Sonderkommission aus Mitgliedern des Allrussischen Zentralexekutivkomitees und 10 bis 20 Hörer der Swerdlow-Universität an den Don zu schicken; den Verfasser des Briefes mitzunehmen; diejenigen, die des Diebstahls überführt werden, an Ort und Stelle zu er­schießen. In bezug auf den Absender des Briefes schrieb Lenin in einer Notiz an den Sekretär: „1. Machen Sie eiligst den Verfasser ausfindig, empfangen Sie ihn, beruhigen Sie ihn, sagen Sie ihm, dass ich krank bin, aber seine Sache betreibe.19

Selbst in den angespanntesten Augenblicken des Kampfes gegen die Interventen und Weißgardisten verwies Lenin auf die Notwendigkeit, das kulturelle Niveau der Volksmassen in jeder Weise zu heben. Mit dem Übergang der Partei zur friedlichen Arbeit an der Wiederherstellung der Volkswirtschaft wurden die Fragen der Kultur noch schär­fer, noch dringender.

Daher die außerordentliche Bedeutung, die Lenin den Fragen der Hebung des Kulturniveaus der Massen und in erster Linie der Liquidierung des Analphabetentums bei­legte. Er wiederholte ständig, ein Analphabet könne sich nicht mit Politik befassen, man müsse ihm zuerst Lesen und Schreiben beibringen.

Lenin brachte die feste Überzeugung zum Ausdruck, man könnte dem Übel des Analphabetentums schnell ein Ende machen, wenn die Massen selber diese Sache in An­griff nähmen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Lösung der Aufgaben der Kulturrevolution langwierig und schwierig sei und rief die Massen auf, zu lernen, zu lernen und nochmals zu lernen.

Die Heranbringung der Kultur an die breitesten Massen betrachtete Lenin als eine der wichtigsten Bedingungen für den Erfolg der Revolution. Die Hebung des Kultur­niveaus der Massen würde die breite Entfaltung der Wissenschaft, Technik und Kunst, die allseitige Anwendung des Wissens beim Aufbau der Sowjetwirtschaft und des Sowjetstaates gewährleisten.

Lenin stellte eine Aufgabe von gewaltiger politischer Wichtigkeit: zu erreichen, dass „die Wissenschaft bei uns nicht toter Buchstabe oder eine Modephrase bleibe (das aber, man muss es offen gestehen, pflegt bei uns besonders häufig der Fall zu sein), sondern dass die Wissen­schaft uns wirklich in Fleisch und Blut übergehe und rest­los zu einem wirklichen Bestandteil des Alltags werde20.

Die Überreste der feindlichen Klassen versuchten nicht nur an der wirtschaftlichen, sondern auch an der ideologi­schen Front das kleinbürgerliche Element im Lande und die Schwierigkeiten des Übergangs zur Neuen Ökonomischen Politik auszunutzen. Lenin nahm entschieden den Kampf auf für die Reinheit der marxistischen Theorie.

In der ersten Märzhälfte 1922 schrieb Lenin für die Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus“ seinen bekannten Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus“. Dieser Artikel ist ein Programm für die Arbeit der Kommunisten an der theoretischen Front, ins­besondere auf dem Gebiet der Philosophie.

Der Leninsche Gedanke von der Verbindung der Partei mit den Massen und der Bedeutung der Partei als der Avantgarde beim Aufbau des Kommunismus fand in diesem Artikel seine Weiterentwicklung. Lenin schrieb:

Einer der größten und gefährlichsten Fehler der Kom­munisten (wie überhaupt der Revolutionäre, die den An­fang einer großen Revolution erfolgreich vollbracht haben) ist die Vorstellung, die Revolution könne mit den Händen allein der Revolutionäre durchgeführt werden. Im Gegen­teil, für den Erfolg einer jeden ernsten revolutionären Ar­beit ist es notwendig zu erkennen – und zu verstehen, diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen – , dass die Revo­lutionäre nur als Avantgarde einer wirklich lebensfähigen und fortgeschrittenen Klasse eine Rolle zu spielen fähig sind. Die Avantgarde erfüllt lediglich dann die Aufgaben einer Avantgarde, wenn sie versteht, sich nicht von der unter ihrer Führung stehenden Masse loszulösen, sondern die ganze Masse wirklich vorwärtszuführen. Ohne ein Bündnis mit den Nichtkommunisten auf den verschieden­sten Tätigkeitsgebieten kann von einem erfolgreichen kom­munistischen Aufbau keine Rede sein.21

Lenin wies auf die Notwendigkeit hin, ein Bündnis der Kommunisten mit den nichtkommunistischen Materialisten herzustellen, mit den Vertretern der modernen Wissen­schaft, besonders der Naturwissenschaft. In diesem Bünd­nis muss die Hegemonie dem dialektischen Materialismus gehören. Nur der dialektische Materialismus ist geeignet, siegreich gegen den Ansturm bürgerlicher Ideen zu kämp­fen, gegen alle Arten von Idealismus und Pfaffentum. In diesem Zusammenhang verwies Lenin auf drei sehr wich­tige Aufgaben:

1. eine unermüdliche atheistische Propa­ganda zu betreiben, wobei die verschiedenartigsten Mate­rialien auszunutzen sind zu einem unversöhnlichen Kampf gegen alle Formen des Pfaffentums;

2. jenen jähen Bruch der traditionellen Vorstellungen, den die moderne Natur­wissenschaft erlebt und den die bürgerlichen Philosophen zur Einschmuggelung des Idealismus ausnutzen, im Lichte des dialektischen Materialismus darzustellen;

3. die mate­rialistische Dialektik als philosophische Wissenschaft all­seitig weiterzuentwickeln.

Ohne sich eine solche Aufgabe zu stellen und sie systematisch zu erfüllen, kann der Mate­rialismus kein streitbarer Materialismus sein.22

Der Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Mate­rialismus“ ist gleichsam Lenins Vermächtnis in philosophi­schen Fragen. Er ist ein Musterbeispiel für den streitbaren Geist in der Partei auf dem Gebiet der Theorie und weist den Weg, auf dem sich die theoretische Arbeit in unserem Lande entwickeln muss.

Gewaltige Bedeutung legte Lenin der organisierten und disziplinierten Arbeit bei, der Arbeit auf neue Weise. Die gesamte Partei- und Staatsarbeit Lenins ist ein Beispiel für die Verbindung des russischen revolutionären Schwungs mit der amerikanischen Sachlichkeit.

Lenin war ein außergewöhnliches Vorbild an proleta­rischer Organisiertheit und Disziplin. Diese selben Forde­rungen stellte er auch an die anderen. In der strengsten Wahrung der Partei- und Staatsdisziplin sah er das Unter­pfand des Sieges.

Mehr als alles liebte Lenin die lebendige Tat. Schonungs­los brandmarkte er Bummelei, Schlendrian, den Hang, die schöpferische, schaffende Arbeit durch Redereien zu er­setzen. Er geißelte diejenigen, die alles in Angriff nahmen und nichts zu Ende führten. Er hasste zutiefst den über­flüssigen Sitzungsrummel, den sinnlosen Leerlauf, den Oblomow-Geist. „Es genügt, uns einmal anzusehen, wie wir Sitzungen abhalten, wie wir in Kommissionen ar­beiten, um zu sagen: der alte Oblomow ist noch da, und man muss ihn lange waschen, reini­gen, klopfen und walken, damit etwas Ver­nünftiges herauskommt.23

Lenin lehrte, die Kontrolle der Durchführung und die richtige Auswahl der Menschen sei die Hauptsache in der Arbeit des Apparates eines Staates von neuem Typus. In einer Reihe seiner Artikel und Reden zu Beginn des Jahres 1922 stellte er nachdrücklich den Partei- und Sowjet­kadern diese Aufgabe.

Lenin legt eine unermüdliche Sorge um die Einheit und Festigkeit der bolschewistischen Partei, um die Verviel­fältigung ihrer Verbindung mit den parteilosen Massen an den Tag. Die Durchführung der Neuen Ökonomischen Politik stieß auf Widerstand seitens der wankelmütigen Elemente der Partei. Dieser Widerstand kam von zwei Seiten. Politische Missgeburten wie die „linken“ Schrei­hälse „bewiesen“, die NÖP wäre Rückkehr zum Kapita­lismus, die NÖP wäre der Untergang der Sowjetmacht. Die offenen Kapitulanten – Trotzki, Sinowjew, Kamenew, Radek, Bucharin, Rykow, Sokolnikow und andere -, die nicht an die Möglichkeit der sozialistischen Entwicklung unseres Landes glaubten, die „Allmacht“ des Kapitalis­mus anbeteten, bemühten sich, die Position des Kapita­lismus in der Sowjetrepublik zu festigen, und erstrebten große Zugeständnisse an das Privatkapital. Sie forderten die Auslieferung einer Reihe von Kommandohöhen der Sowjetmacht in der Volkswirtschaft an das Privatkapital. Unter der Führung Lenins entlarvte und isolierte die Partei die einen wie die anderen und erteilte ihnen eine entschiedene Abfuhr.

Das Vorhandensein von Widerstand gegen die Politik der Partei wies auf die Notwendigkeit hin, ihre Reihen von den wankelmütigen Elementen zu säubern.

Lenin wachte unermüdlich über die Reinheit der Partei, sorgte ständig für die Verbesserung ihrer Zusammensetzung. „Parademitglieder der Partei brauchen wir nicht geschenkt“, schrieb Lenin schon im Jahre 1919. „Die ein­zige Regierungspartei in der Welt, die nicht für eine Ver­größerung ihrer Mitgliederzahl Sorge trägt, sondern für die Steigerung ihrer Qualität, für die Reinigung der Partei von denjenigen, die sich an sie ,angebiedert‘ haben, ist unsere Partei, die Partei der revolutionären Arbeiter­klasse.24

Lenin legte der vom Zentralkomitee 1921 verkündeten. Parteireinigung gewaltige Bedeutung bei. Er lenkte die be­sondere Aufmerksamkeit aller Parteimitglieder auf die Notwendigkeit einer gründlichen Säuberung der Partei „von Gaunern, von Verbürokratisierten, von Unehrlichen, von unbeständigen Kommunisten und von Menschewiki, die ihre ,Fassade‘ übertüncht haben, aber im Herzen Menschewiki geblieben sind“. Er verwies darauf, dass es wichtig sei, die Parteilosen zu der Reinigung hinzuzu­ziehen. „Es gibt Orte, wo man die Partei reinigt, indem man sich hauptsächlich auf die Erfahrungen, die Hin­weise der parteilosen Arbeiter stützt, sich von ihren Hin­weisen leiten lässt, mit den Vertretern der parteilosen prole­tarischen Masse rechnet. Das gerade ist das Wertvollste, das Wichtigste. Wenn es uns wirklich gelänge, die Partei auf eine solche Weise von oben bis unten ohne ,Ansehen der Person‘ zu reinigen, so wäre das in der Tat eine große Errungenschaft der Revolution.25

Lenin bestand auf einem besonders sorgfältigen Ver­fahren bei der Aufnahme in die Partei. Er forderte entschieden, den Vorschlag Sinowjews zurückzuweisen, wo­nach für alle in die Partei Eintretenden die erforderliche Zeitdauer an Arbeit in der Produktion gekürzt werden sollte. Lenin begründete in einem besonderen Schreiben an den Sekretär des Zentralkomitees, Genossen Molotow, die Notwendigkeit, die Kandidatenfrist nur für Arbeiter, die faktisch mindestens zehn Jahre in einem großen Industrie­betrieb gearbeitet haben, auf ein halbes Jahr herabzu­setzen. Für die Aufnahme anderer Kategorien in die Partei empfahl er, eine längere Zeitdauer an Arbeit in der Pro­duktion festzulegen. Mit seinen nachdrücklichen Vorschlä­gen erstrebte Lenin, die Partei davor zu schützen, dass in ihre Reihen kleinbürgerliche und feindliche Elemente ein­dringen, die zufällig und vorübergehend als Arbeiter tätig waren. Diese Gefahr war unter den Verhältnissen der NÖP besonders groß.

Lenin forderte, dass bei der Aufnahme von Mitgliedern des Kommunistischen Jugendverbandes in die Partei ge­prüft würde, ob sie „wirklich ernst gelernt und etwas er­lernt haben“, sowie „ob sie eine längere Zeit ernster prak­tischer Arbeit (wirtschaftliche, kulturelle usw.) durchge­macht haben“.

Die ganze Arbeit zur Führung der Partei und des Lan­des, die ganze Arbeit zur Entfaltung des sozialistischen Aufbaus führte Lenin gemeinsam mit Stalin durch, mit dem er sich ständig beriet. Wie früher, in den Jahren der Intervention und des Bürgerkrieges, die Partei Genossen Stalin an die verantwortlichsten und entscheidendsten Frontabschnitte entsandt hatte, so wird Genosse Stalin auch jetzt von der Partei dorthin geschickt, wo sich der Sieg an der Wirtschaftsfront entscheidet. Das Schicksal der Wiederherstellung der Volkswirtschaft entscheidet sich im Donezgebiet, damals der einzigen Kohlen- und Hütten­basis des Landes – und das Donezgebiet wird der besonderen Obhut des Genossen Stalin unterstellt. Die Arbeit des Verkehrswesens, dieser wirtschaftlichen Hauptader des Landes, muss in Ordnung gebracht werden, – und Genosse Stalin wird Mitglied der Kommission des Zentral­komitees für die Wiederherstellung des Verkehrswesens.

Es entsteht eine gespannte Situation in Sibirien – und Lenin schreibt an Stalin: „Ich bitte Sie, die Mitteilungen Dzierzynskis über Sibirien zu beachten. Die Gefahr, dass die Unseren mit den sibirischen Bauern nicht auszukommen verstehen, ist äußerst groß und drohend.“ Auf dem IV. Allrussischen Gewerkschaftskongress desorientierten parteifeindliche Elemente unter verbrecherischer Duldung Tomskis die bolschewistische Fraktion – das Zentral­komitee delegiert Lenin und Stalin zu dem Kongress und die Manöver der Feinde der Partei werden entlarvt. Es gilt, die anarcho-syndikalistischen Elemente im Metall­arbeiterverband zu zerschlagen – das Zentralkomitee ent­sendet Lenin und Stalin zum Verbandstag der Metall­arbeiter. Lenin bereitet sich auf den XI. Parteitag vor. Er erwägt die Frage, wie die Kontrolle der Ausführung und die Auswahl der Menschen zu organisieren sei; er beab­sichtigt, zu dieser äußerst wichtigen Aufgabe die Arbeiter­- und Bauerninspektion heranzuziehen, und berät darüber mit Genossen Stalin. „Man braucht Helfer“, schrieb Lenin an Stalin. „Der Verwaltungsapparat des Rates der Volks­kommissare allein ist dafür zu klein und ihn zu vergrößern ist unrationell. Ich habe den Gedanken geäußert, dafür die… Arbeiter- und Bauerninspektion auszunutzen. Ich möchte wissen, ob Sie das billigen.26

Lenin und Stalin arbeiteten in engster Gemeinschaft die Grundlagen der sowjetischen Nationalitätenpolitik aus, die unter ihrer Führung in die Tat umgesetzt wurde. Beson­dere Aufmerksamkeit widmete Lenin im Jahre 1921 Transkaukasien. Seinen ersten Brief – eine Direktive an die Kommunisten Georgiens, nachdem dort die Sowjetmacht errichtet worden war – übersandte Lenin zunächst an Ge­nossen Stalin. „Bitte absenden, wenn Sie aber Einwände haben, so rufen Sie mich an27, schrieb Lenin an Stalin. Lenin und Stalin waren die Initiatoren der Gründung der Transkaukasischen Föderation, die Organisatoren der brü­derlichen Zusammenarbeit der transkaukasischen Völker. Nachdem Lenin den Entwurf für den Antrag auf Bildung der Föderation der Transkaukasischen Republiken ge­schrieben hatte, sandte er ihn an Stalin. Genosse Stalin nahm an dem Leninschen Entwurf eine Korrektur vor, die von Lenin angenommen wurde. Lenin kämpfte beharrlich und unversöhnlich gegen den großrussischen Chauvinis­mus. In einer der Sitzungen des Politbüros schrieb er an Stalin: „Dem großrussischen Chauvinismus erkläre ich den Kampf auf Leben und Tod; sobald ich nur den verfluch­ten Zahn los bin, werde ich ihn mit all meinen gesunden Zähnen zerreißen.

Man muss absolut darauf bestehen, dass in dem ver­einigten Allrussischen Zentralexekutivkomi­tee der Vorsitz der Reihe nach geführt wird von

einem Russen

einem Ukrainer

einem Georgier usw.

Absolut!

Ihr Lenin.“

Auf dieses Schreiben antwortete Genosse Stalin: „Richtig.“28

Lenin legte eine außerordentliche Fürsorge um Stalin an den Tag. Als er im Juli 1921 aus dem Nordkaukasus eine Mitteilung über Stalins Erkrankung erhielt, fragte er un­verzüglich telegraphisch bei Genossen Ordshonikidse an: „Erstens: bitte mitzuteilen, wie es mit der Gesundheit Sta­lins steht und das Gutachten der Ärzte darüber.29 Nach einigen Tagen telegraphierte Lenin wiederum: „Teilen Sie Namen und Adresse des Arztes mit, der Stalin behandelt, und für wieviel Tage man Stalin wieder eingespannt hat.30 Immer und immer wieder machte er Ordshonikidse Vorhaltungen: „Bin erstaunt, dass Sie Stalin von der Erholung abhalten. Stalin bedürfte noch mindestens 4 oder 6 Wochen Erholung.

Auch den Bedingungen, in denen Genosse Stalin lebte, schenkte Lenin seine Aufmerksamkeit. In einem Schrei­ben an den Kommandanten des Kreml (im November 1921) erklärt er, die Wohnung des Genossen Stalin sei derart, dass dieser nicht schlafen könne (nebenan war eine Küche, aus der vom frühen Morgen an Lärm zu hören war). Er bat, Genossen Stalin eine ruhige Wohnung zuzuweisen, drängte darauf, dass das möglichst bald geschehe und dass ihm die Erledigung schriftlich mitgeteilt werde.

Im Dezember 1921 schrieb Lenin in einer Notiz für den Sekretär: „Wenn Stalin aufsteht (man soll ihn nicht wecken), ihm sagen, dass ich von 11 Uhr an in der Kom­mission (bei mir) bin und dass ich Stalin bitte, mir sein Telephon anzugeben (falls Stalin weggeht), denn ich muss telephonisch mit ihm sprechen.31

Im März 1922 fand der XI. Parteitag statt. Das war der letzte Parteitag, an dem Lenin teilnahm. Die äußerst an­gestrengte Arbeit der letzten Jahre begann sich auf seinen Gesundheitszustand auszuwirken. Ungeachtet seiner Krank­heit hatte Lenin sich, wie stets, auf das Sorgfältigste zum Parteitag vorbereitet und soweit seine Kräfte es ihm er­laubten, die Vorbereitung des Parteitags geleitet.

Auf dem Parteitag gab Lenin den politischen Rechen­schaftsbericht des Zentralkomitees der Partei. In seinem Bericht gab Lenin eine entschiedene Kritik der vorhande­nen Mängel, wobei er die Partei für die Beseitigung dieser Mängel mobilisierte, und zog das Fazit für das erste Jahr der NÖP. Schon das erste Jahr der Neuen Ökonomischen Politik hatte deren Richtigkeit voll und ganz erwiesen. Auf der neuen ökonomischen Grundlage hatte sich das Bünd­nis der Arbeiter und Bauern gefestigt. Das kulakische Bandenunwesen war fast völlig liquidiert. Großindustrie, Verkehrswesen; Banken, Grund und Boden, Innen- und Außenhandel, d.h. alle Kommandohöhen waren in den Händen der Sowjetmacht geblieben. Die Partei hatte an der Wirtschaftsfront einen Umschwung erzielt. Es begann ein langsamer, aber sicherer Aufschwung auf allen Ge­bieten des Wirtschaftsaufbaus.

Diese Ergebnisse erlaubten Lenin, zu erklären:

Ein Jahr lang befanden wir uns auf dem Rückzug. Wir müssen jetzt im Namen der Partei sagen: Genug! Das Ziel, das mit dem Rückzug verfolgt wurde, ist erreicht. Diese Periode geht zu Ende oder ist zu Ende. Nun setzen wir uns ein anderes Ziel: die Kräfte umzugruppieren.“32 Eine solche Umgruppierung der Kräfte war notwendig für die neue Offensive gegen die kapitalistischen Elemente des Landes. Sie wurde von Lenin definiert als „Vorbereitung der Offensive gegen das privatwirtschaftliche Kapital.33

Lenin lehrte die Partei, die zweifache Natur der Neuen Ökonomischen Politik zu begreifen. Er wies darauf hin, dass der Kapitalismus zwar zugelassen sei, aber alle Kom­mandohöhen der Volkswirtschaft in den Händen des pro­letarischen Staates verblieben sind. Zwischen den kapitali­stischen und sozialistischen Elementen sei ein verzweifelter Kampf im Gange, in dessen Verlauf die Rolle der soziali­stischen Elemente immer mehr anwachse, die den Sieg über die Elemente des Kapitalismus davontragen würden. Die NÖP sei eben auf diesen Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus berechnet, sei berechnet auf die Aufhebung der Klassen, auf den Bau des Fundaments für die soziali­stische Ökonomik. Lenin erklärte auf dem Parteitag: „Die ökonomische Macht in den Händen des proletarischen Staates Russland ist durchaus zureichend, um den Über­gang zum Kommunismus zu gewährleisten.34

Das Jahr der Neuen Ökonomischen Politik hatte der Bauernschaft gezeigt, dass die Sowjetmacht Maßnahmen durchführt, die den breiten Massen der Bauernschaft ver­ständlich und zugänglich sind. Die NÖP hatte der Bauernschaft gezeigt, dass die bolschewistische Partei für ihre All­tagsbedürfnisse sorgt und ihr tatsächlich hilft; die NÖP hatte gezeigt, dass die bolschewistische Partei fest und ohne zu schwanken ihrem Ziel entgegengeht – der Errichtung des Sozialismus in unserem Lande auf der Grundlage des Bündnisses der Arbeiterklasse und der Bauernschaft unter Führung der Arbeiterklasse.

Lenin verwies auf dem Parteitag nachdrücklich darauf, dass es für den Sieg des Sozialismus notwendig ist, das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauern­schaft, den Zusammenschluss zwischen der sozialistischen Industrie und der bäuerlichen Wirtschaft zu sichern. Er lehrte, dass wir durch den Zusammenschluss mit der bäuerlichen Masse, mit der einfachen werktätigen Bauern­schaft, beginnen werden vorwärts zu schreiten, wenn auch nur langsam, „doch so, dass die ganze Masse wirklich mit uns vorwärts schreiten wird. Dann wird auch zu gegebener Zeit eine solche Beschleunigung dieser Bewegung ein­setzen, von der wir augenblicklich nicht einmal träumen können.35

Lenin verfügte wie kein anderer über die Fähigkeit, das Hauptglied in der Kette der Aufgaben, die zentrale Aufgabe, zu bestimmen, sie äußerst knapp und klar zu formulieren, auf ihre Erfüllung alle Kräfte der Partei zu konzentrieren. Als diese Aufgabe betrachtete Lenin da­mals den Handel zwischen Stadt und Land, denn der Weg zur Verwirklichung des Zusammenschlusses zwischen so­zialistischer Industrie und bäuerlicher Wirtschaft führte über die Entwicklung des Warenumsatzes zwischen Stadt und Land. Und Lenin stellte die Losung auf – man muss lernen, Handel zu treiben, in einer allen Kulturansprüchen genügenden Weise Handel zu treiben.

Lenin verwies darauf, dass das Wichtigste, woran es den Kommunisten fehle, Kultiviertheit sei, die Fähigkeit, unter den Verhältnissen der NÖP, die sowohl ökonomisch als auch politisch die Möglichkeit für die Schaffung des Fundaments der sozialistischen Ökonomik sichert, die Verwaltung auszuüben. Er erklärte: „Kontrolle der Menschen und Kontrolle der faktischen Aus­führung der Arbeit – darin, eben darin und nur darin besteht heute der Kern der gesamten Arbeit, der ge­samten Politik.36

Lenin wandte sich auf dem Parteitag scharf gegen die Trotzkisten (Schljapnikow, Preobrashenski u.a.), die gegen die Durchführung der Neuen Ökonomischen Politik auftraten und Panik in den Reihen der Partei säten.

Seine Rede am Schluss des Parteitags widmete Lenin der Partei, ihrer größeren Geschlossenheit, ihrer Einmütig­keit, ihrer größeren ideologischen und organisatorischen Einheit, die die Partei in der Zeit zwischen dem X. und, XI. Parteitag erreicht hatte.

Hoch über alles stellte Lenin die Partei als Vorhut der Massen, als führende Kraft des Sowjetstaates. Ihrer Ein­heit, Homogenität und Geschlossenheit legte er außer­ordentliche Bedeutung bei: „Das Grundlegende und Haupt­sächliche, was uns dieser Parteitag an ,Neuem‘ gegeben hat, das ist der lebendige Beweis, dass unsere Feinde unrecht haben, die da unermüdlich behaupteten und behaupten, unsere Partei verfalle der Vergreisung, verliere die Elastizität des Geistes und die Elastizität ihres ganzen Organismus.

Nein, diese Elastizität haben wir nicht verloren.37

Es galt, die von Lenin auf dem Parteitag gestellten histo­rischen Aufgaben zu verwirklichen, es galt, auf dem Wege über die NÖP den siegreichen Angriff des Sozialismus vor­zubereiten.

Auf Antrag Lenins wählte das Plenum des Zentralkomi­tees nach dem Parteitag Genossen Stalin, den treuen Schü­ler und Kampfgefährten Lenins, zum Generalsekretär des Zentralkomitees. Seit dieser Zeit arbeitete Genosse Stalin, bis zu seinem Tod 1953, ständig auf diesem Posten.

Die Verwundung Lenins Ende des Sommers 1918 sowie die äußerst angespannte Arbeit hatten seine Gesundheit untergraben. Schon seit dem Winter 1921 war er genötigt, seine Arbeit häufig zu unterbrechen.

Im Mai 1922 trat eine beträchtliche Verschlechterung im Gesundheitszustand Lenins ein. Zu dieser Zeit befand sich Lenin in Gorki bei Moskau, wohin er auf Verlangen der Ärzte gefahren war. Ende Mai kam es zu einem heftigen Anfall der Krankheit und zu dem ersten Schlag­anfall. Das führte zu einer teilweisen Lähmung. Lenin verlor zeitweilig die Fähigkeit, das rechte Bein und die rechte Hand zu bewegen, sein Sprechvermögen war gestört. Mitte Juni trat im Befinden Wladimir Iljitschs eine ge­wisse Besserung ein. Im Juli gestatteten ihm die Ärzte, seine nächsten Genossen zu empfangen, aber unter der Bedingung, keine Unterhaltungen über die Arbeit zu führen.

Hier, was Genosse Stalin über eine dieser Zusammen­künfte in Gorki schreibt:

Als ich Ende Juli, nach anderthalb Monaten Unterbre­chung, Genossen Lenin zum ersten mal wieder sah, machte er auf mich eben den Eindruck eines alten Kämpfers, der sich nach aufreibenden, ununterbrochenen Kämpfen hat erholen können und nach der Erholung frischer geworden ist. Frisch und wiederhergestellt, aber mit Spuren der Er­müdung, der Abgespanntheit.

,Ich darf keine Zeitungen lesen‘, bemerkt Genosse Lenin ironisch, ,ich darf nicht über Politik sprechen, ich mache sorgfältig einen Bogen um jedes Stück Papier, das auf dem Tisch herumliegt, aus Furcht, es könnte eine Zeitung sein und daraus könnte ein Disziplinbruch entstehen.‘

Ich lache auf und spende der Diszipliniertheit des Genossen Lenin höchstes Lob, Zugleich aber machen wir uns über die Ärzte lustig, die nicht verstehen können, dass es Berufspolitikern, denen eine Zusammenkunft gewährt ist, unmöglich ist, nicht über Politik zu spre­chen.

Der Heißhunger, mit dem Genosse Lenin Fragen stellt, sowie der Drang, der unüberwindliche Drang zur Arbeit ist überwältigend. Man sieht, dass er ausgehungert ist. Der Prozess gegen die Sozialrevolutionäre, Genua und Haag, die Ernteaussichten, die Industrie und die Finanzen – all diese Fragen tauchen eine nach der anderen auf.38

Stalin, der die Arbeit der Partei leitete, besuchte Lenin während seiner Krankheit häufig. Lenin lud Stalin zu sich ein, um sich mit ihm über die Lage der Dinge zu unter­halten, um gemeinsam mit ihm eine Reihe von Fragen zu erörtern.

Die Genesung Lenins machte rasche Fortschritte. Er nahm den dienstlichen Briefverkehr wieder auf, verlangte, dass man ihm Bücher nach Gorki schicke. Seinen Sekre­tären schrieb er: „Sie können mir zur Genesung gratu­lieren. Beweis: die Handschrift, die wieder anfängt, menschlich zu werden. Beginnen Sie mir Bücher vorzu­bereiten (und senden Sie mir Listen) 1. wissenschaftliche, 2. Belletristik, 3. Politik (diese zuletzt, denn sie ist noch nicht gestattet).“ Lenin drängte es, an der Partei- und Staatsarbeit teilzunehmen, ohne die er sich sein Leben nicht vorstellen konnte.

Mitte Juli telegraphierte Genosse Stalin an Sergo Ordshonikidse:

Gestern gestatteten die Ärzte Iljitsch nach anderthalb Monaten Unterbrechung den Besuch von Freunden und einige Stunden Arbeit.

Ich war bei Iljitsch und fand, dass er endgültig wieder­hergestellt ist. Heute hatten wir schon einen Brief von ihm mit Direktiven für die laufenden politischen Fragen.

Die Ärzte meinen, dass er in einem Monat wieder in alter Weise an die Arbeit wird gehen können.39

Im August 1922 sandte die XII. Allrussische Parteikon­ferenz dem Führer der proletarischen Revolution, der krankheitshalber nicht an der Konferenz teilnehmen konnte, ein Begrüßungsschreiben. Seine Antwort übermit­telte Lenin durch Stalin.

Genossen“, teilte Stalin in der Konferenz mit, „ich habe zu erklären, dass ich heute zu Genossen Lenin gerufen wurde, und er hat mich bevollmächtigt, euch als Antwort auf das Begrüßungsschreiben der Konferenz seinen Dank für die Begrüßung zu übermitteln. Er gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Tag nicht mehr so fern ist, wo er in unsere Reihen an die Arbeit zurückkehren wird.

Am 2. Oktober 1922 übersiedelte Lenin von Gorki nach Moskau und kehrte wirklich an die Arbeit zurück. Schon am nächsten Tag führte er den Vorsitz in der Sitzung des Rates der Volkskommissare. Am 5. Oktober nahm er an der Sitzung des Plenums des Zentralkomitees teil. Die Rück­kehr Lenins an die Arbeit war eine große Freude für die Partei, für alle Werktätigen,

Die Ärzte hatten Lenin eine streng geregelte Lebensweise vorgeschrieben; sie versuchten, seine Arbeit auf fünf Stun­den am Tag zu beschränken: von 11 bis 2 Uhr und von 6 bis 8 Uhr. Außer dem Sonntag war wöchentlich noch ein Tag vollkommener Ruhe verordnet worden (Wladimir Iljitsch wählte den Mittwoch). Aber Lenin umging die Ver­ordnungen der Ärzte. Gleich vom ersten Tage an nahm er die Arbeit in vollem Umfang auf. Er kam um 9 Uhr 30 Minuten morgens in sein Arbeitszimmer und sah eine gewaltige Zahl von Zeitungen durch. Um 10 Uhr 45 Mi­nuten rief er den Sekretär zur Berichterstattung. Um 11 Uhr begann die angespannte Arbeit. Um 2 Uhr ging er in seine Wohnung, wobei er einen ganzen Packen Schriftstücke mitnahm und kehrte um 6 Uhr mit zahlreichen Aufträgen für die Sekretäre zurück. Auch den zu­sätzlichen Ruhetag verbrachte Wladimir Iljitsch nicht sel­ten mit Arbeit. Hier eine Aufzeichnung der Sekretäre Le­nins über einen dieser „Ruhetage“: „1. November, tagsüber: Beratung unter Teilnahme Stalins. Abends: von 7 bis 8 Uhr zwei italienische Genossen. Um 8 Uhr 30 ging Wladimir Iljitsch nach Hause.

Am 31. Oktober hielt Lenin eine Rede auf der Tagung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees. Das war sein erstes Auftreten nach seiner Genesung. Alle erwarteten dieses Auftreten mit großer Bewegung. Auch Wladimir Iljitsch selbst war bewegt. Er sprach über die glänzenden Siege, die die Rote Armee und die Sowjetdiplomatie errungen hatten im Zusammenhang mit der Befreiung des letzten Stücks Sowjeterde – Wladiwostoks – von den japanischen Interventen. Er erklärte, das Sowjetland sei noch bedeutend ärmer als die kapitalistischen Länder, werde sie aber mit einer Geschwindigkeit einholen, von der sie nicht einmal träumen können. „An eine phantastische Geschwindigkeit der Veränderungen gleich welcher Art glaubt bei uns niemand, aber an eine wirkliche Geschwin­digkeit, an eine im Vergleich zu einer beliebigen in ihrem wirklichen Verlauf genommenen Periode der Geschichtsentwicklung große Geschwindigkeit – an eine solche Ge­schwindigkeit, da die Bewegung von einer wirklich revolu­tionären Partei geleitet wird, an eine solche Geschwindig­keit glauben wir und eine solche Geschwindigkeit werden wir um jeden Preis durchsetzen.40

Am 13. November erstattete Lenin auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale den Bericht „Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Welt­revolution“. Wie schwer auch die Lage des ruinierten So­wjetlandes in der kapitalistischen Umkreisung war, Lenin war vom Siege überzeugt, sprach von den hervorragenden Perspektiven der ersten Ergebnisse der NÖP.

Die abgelaufenen anderthalb Jahre beweisen positiv und absolut, dass wir… dieses Examen bestanden haben“, erklärte er voller Stolz. Wir haben, sagte Lenin, auf den Bahnen der NÖP einen allgemeinen Aufschwung erreicht: haben das Bündnis der Arbeiter und Bauern gefestigt, die Lage der Arbeiterklasse verbessert, den Rubel stabilisiert, die Produktion der Leichtindustrie vergrößert. „Wir haben schon jetzt den Beweis dafür, dass wir als Staat imstande sind, Handel zu treiben, unsere festen Positionen in Land­wirtschaft und Industrie zu halten und weiter vorwärts zu ­schreiten.“ In einer sehr schwierigen Lage befindet sich noch die Schwerindustrie. „Die Schwerindustrie braucht Staatszuschüsse“, erklärte Lenin. „Wenn wir sie nicht auf­bringen, so sind wir als zivilisierter – ich sage schon gar nicht als sozialistischer – Staat verloren.“ Aber das So­wjetland besitzt mächtige Quellen der inneren Akkumula­tion. Und Lenin machte den Vertretern des internationa­len Proletariats voller Freude die Mitteilung, dass die So­wjetmacht durch die NÖP schon die ersten 20 Millionen Goldrubel akkumuliert habe und alle diese Mittel für die Wiederherstellung und Entwicklung der Schwerindustrie verwenden, dass sie an allem, selbst an den Schulen, sparen werde. „Das muss sein“, sagte Lenin, „weil wir wissen, dass wir ohne die Rettung der Schwerindustrie, ohne ihren Wiederaufbau, keine Industrie aufbauen kön­nen, dass wir aber ohne diese überhaupt zugrunde gehen werden als selbständiges Land.“ Mit größter Festigkeit und Unbeugsamkeit erklärte Lenin: „Wir haben die Macht für die Arbeiter ergriffen und haben das Ziel vor uns, mit Hilfe dieser Macht die sozialistische Ordnung zu schaffen.41

Lenin hielt seine Rede in deutscher Sprache. Der Bericht dauerte eine Stunde und wurde vom Kongress mit Be­wegung und größter Aufmerksamkeit angehört. Jedoch fiel es Lenin schon schwer, den Bericht zu erstatten. Er sprach mit offenkundiger Anstrengung. Nach dem Bericht war er sehr erschöpft. Die Krankheit machte sich bemerkbar.

Eine Woche später, am 20. November 1922, ergriff Lenin das Wort auf dem Plenum des Moskauer Sowjets. Er zog die Bilanz des fünfjährigen Bestehens der Sowjetmacht und schloss seine Rede mit folgenden Worten:

Wir haben den Sozialismus in das Alltagsleben ein­bezogen, und hier müssen wir uns zurechtfinden. Das eben ist die Aufgabe unserer Tage, das eben ist die Aufgabe unserer Epoche. Gestattet mir, mit dem Ausdruck der Über­zeugung zu schließen, dass wir, so schwer diese Aufgabe auch sein mag, so neu sie auch im Vergleich zu unserer früheren Aufgabe ist und so viele Schwierigkeiten sie uns auch bereiten mag, – dass wir alle zusammen nicht mor­gen, aber in einigen Jahren diese Aufgabe um jeden Preis lösen werden, so dass aus dem Russland der NÖP ein sozialistisches Russland werden wird.42

Das war die letzte Rede Lenins vor dem Lande.

Quelle: „Lenin, Wladimir Iljitsch – Ein kurzer Abriss seines Lebens und Wirkens“, Verlag für Fremdsprachige Literatur, Moskau, 1947.

Anmerkungen:

1Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXV, S. 612.

2Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 58.

3Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 56.

4Ebenda S. 60.

5„Prawda“ Nr. 351 vom 22. Dezember 1930.

6Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 92.

7Geschichte der KPdSU(B), Kurzer Lehrgang, S. 321.

8Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 92.

9Lenin-Sammelband XX, S. 57/58 russ.

10Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVII, S. 120 russ.

11Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 43.

12Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVII, S. 140/41 russ.

13Lenin-Sammelband XXIII, S. 286 u. 287 russ.

14Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 54.

15Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXIX, S. 522 russ.

16Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 393.

17J. Stalin, Über Lenin, S. 47.

18Ebenda S. 40.

19Lenin-Sammelband XX, S. 333 russ.

20Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 421.

21Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 11, S. 71.

22Ebenda S. 78.

23Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 340.

24Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXIV, S. 484 russ.

25Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 271 u. 269.

26Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXIX, S. 422 russ.

27Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 610, Anm. Nr. 14.

28„Prawda“ Nr. 21 vom 21. Januar 1937.

29Lenin-Sammelband XX, S. 74 russ.

30Ebenda S. 263.

31Lenin-Sammelband XXIII, S. 329 russ.

32Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 366.

33Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVII, S. 213 russ.

34Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 365.

35Ebenda S. 357.

36Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 343.

37Ebenda S. 399.

38J. Stalin, Über Lenin, S. 22.

39„Sarja Wostoka“ (Morgenröte des Ostens) Nr. 25 vom 18. Juli 1922.

40Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXVII, S. 318 russ.

41Lenin, Ausgew, Werke, Bd. 10, S. 319, 324, 323 u, 325.

42Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 9, S. 412.