Dokumentiert: Vor 80 Jahren, am 6. November 1942, fand in Moskau die Festsitzung zum 25. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution statt

Bericht des Vorsitzenden des Staatlichen Verteidigungskomitees in der Festsitzung des Moskauer Sowjets der Deputierten der Werktätigen gemeinsam mit den Partei- und gesellschaftlichen Organisationen der Stadt Moskau.
Der Vorsitzende des Staatlichen Verteidigungskomitees der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken – UdSSR – J. W. Stalin

Genossen!
Heute feiern wir den 25. Jahrestag des Sieges der Sowjetrevolution in unserem Lande. 25 Jahre sind vergangen, seitdem bei uns die Sowjetordnung aufgerichtet worden ist. Wir stehen an der Schwelle des nächsten Jahres, des 26. Jahres des Bestehens der Sowjetordnung. In den Festsitzungen am Jahrestag der Oktober-Sowjetrevolution ist es üblich, die Ergebnisse der Arbeit der Staats- und Parteiorgane im abgelaufenen Jahr zusammenzufassen. Ich bin beauftragt, Ihnen eben über diese Ergebnisse des abgelaufenen Jahres, vom November des vorigen Jahres bis zum November dieses Jahres, den Rechenschaftsbericht zu erstatten.
Die Tätigkeit unserer Staats- und Parteiorgane erfolgte im abgelaufenen Zeitraum in zwei Richtungen: in der Richtung des friedlichen Aufbaus und der Organisierung eines festen Hinterlandes für unsere Front einerseits, und in der Richtung der Durchführung von Verteidigungs- und Angriffsoperationen der Roten Armee andererseits.

  1. DIE ORGANISATIONSARBEIT IM HINTERLAND

Die friedliche Aufbauarbeit unserer leitenden Organe fand in diesem Zeitraum ihren Ausdruck darin, dass der Standort unserer Industrie, und zwar sowohl der Rüstungsindustrie als auch der für die Zivilbevölkerung arbeitenden Industrie, in die Ostgebiete unseres Landes verlegt, dass die Arbeiter und die Betriebsanlagen evakuiert und an neuen Orten untergebracht, dass die Saatflächen erweitert und der Herbststurz im Osten vergrößert und schließlich darin, dass die Arbeit unserer Betriebe, die für die Front arbeiten, von Grund aus verbessert und die Arbeitsdisziplin im Hinterland sowohl in den Betrieben als auch in den
Kollektivwirtschaften und auf den Sowjetgütern gehoben wurde. Man muss sagen, dass dies eine äußerst schwierige und höchst komplizierte Organisationsarbeit großen Ausmaßes für alle unsere wirtschaftlichen und administrativen Volkskommissariate war, darunter auch für unser Eisenbahnwesen. Aber es ist uns gelungen, die Schwierigkeiten zu meistern. Und jetzt arbeiten unsere Betriebe, Kollektivwirtschaften und Sowjetgüter trotz aller Schwierigkeiten der Kriegszeit fraglos befriedigend. Unsere Rüstungsbetriebe und die verwandten Industriezweige versorgen gewissenhaft und pünktlich die Rote Armee mit Geschützen,
Granatwerfern, Flugzeugen, Panzern, Maschinengewehren, Gewehren und Munition. Unsere Kollektivwirtschaften und Sowjetgüter versorgen ebenfalls gewissenhaft und pünktlich die Bevölkerung und die Rote Armee mit Lebensmitteln und unsere Industrie mit Rohstoffen. Man muss anerkennen, dass unser Land noch nie ein so festes und so gut organisiertes Hinterland gehabt hat.

Die Folge dieser ganzen komplizierten Organisations- und Aufbauarbeit war, dass nicht nur unser Land ein anderes Gesicht bekommen hat, auch die Menschen im Hinterland selbst sind, andere geworden. Die Menschen nehmen sich mehr zusammen, sind weniger nachlässig, sind disziplinierter geworden, sie haben gelernt zu arbeiten, wie es der Krieg erfordert, sie sind sich ihrer Pflicht bewusst geworden gegenüber der Heimat und ihren Verteidigern an der Front: gegenüber der Roten Armee. Nichtstuer und Liederjane, denen das Gefühl der Bürgerpflicht abgeht, gibt es im Hinterland immer weniger. Immer größer wird die Zahl der Menschen mit Organisation und Disziplin, der Menschen, die vom Gefühl der Bürgerpflicht erfüllt sind.

Aber das abgelaufene Jahr ist, wie ich schon gesagt. habe, nicht nur ein Jahr des friedlichen Aufbaus. Es ist gleichzeitig ein Jahr des Vaterländischen Krieges gegen die deutschen Eindringlinge, die unser friedliebendes Land niederträchtig und wortbrüchig überfallen haben.

  1. DIE KRIEGSHANDLUNGEN AN DER SOWJETISCH-DEUTSCHEN FRONT

Was die militärische Tätigkeit unserer führenden Organe im abgelaufenen Jahr betrifft, so fand sie ihren Ausdruck in der Sicherstellung der Angriffs- und Verteidigungsoperationen der Roten Armee gegen die faschistischen deutschen Truppen. In den Kriegshandlungen an der sowjetisch-deutschen Front im abgelaufenen Jahr kann man zwei Perioden unterscheiden: die erste Periode – das ist vor allem die Winterperiode, als die Rote Armee, nachdem sie den Angriff der Deutschen auf Moskau zurückgeschlagen hatte, die Initiative in ihre Hand nahm, zur Offensive überging, die deutschen Truppen vor sich her trieb und im Laufe von 4 Monaten stellenweise mehr als 400 Kilometer zurücklegte; und die zweite Periode – das ist die Sommerperiode, als die faschistischen deutschen Truppen unter Ausnutzung des Fehlens einer zweiten Front in Europa alle ihre freien Reserven zusammenzogen, die Front im südwestlichen Abschnitt durchbrachen, die Initiative an sich rissen und stellenweise im Verlaufe von 5 Monaten etwa 500 Kilometer zurücklegten.

Die Kriegshandlungen in der ersten Periode, vor allem aber die erfolgreichen Operationen der Roten Armee im Raum von Rostow, von Tula, von Kaluga, bei Moskau, bei Tichwin und Leningrad ließen zwei bedeutsame Tatsachen in Erscheinung treten. Sie haben erstens gezeigt, dass die Rote Armee und ihre Kampfkader zu einer ernsten Kraft herangewachsen sind, die nicht nur fähig ist, dem Druck der faschistischen deutschen Truppen standzuhalten, sondern auch sie im offenen Kampf zu schlagen und zurückzujagen. Sie haben zweitens gezeigt, dass die faschistischen deutschen Truppen bei all ihrer Standhaftigkeit große organische Schwächen haben, die unter gewissen für die Rote Armee günstigen Voraussetzungen zur Niederlage der deutschen Truppen führen können. Man darf die Tatsache nicht als zufällig betrachten, dass die deutschen Truppen, die im Triumphmarsch durch ganz Europa gezogen waren und die französischen Truppen, die als erstklassige Truppen galten, mit einem Schlag erledigt hatten, erst in unserem Lande auf wirklichen militärischen Widerstand gestoßen sind, und nicht nur auf Widerstand gestoßen sind, sondern
genötigt waren, unter den Schlägen der Roten Armee von den eingenommenen Stellungen mehr als 400 Kilometer zurückzuweichen, wobei sie auf dem Rückzugswege eine ungeheure Menge von Geschützen, Kraftfahrzeugen und Munition im Stich ließen. Durch die Verhältnisse des Winterkrieges allein ist diese Tatsache in keiner Weise zu erklären.

Die zweite Periode der Kriegshandlungen an der sowjetisch-deutschen Front ist gekennzeichnet durch einen Umschwung zugunsten der Deutschen; die Initiative geht in die Hände der Deutschen über, unsere Front wird im südwestlichen Abschnitt durchbrochen, die deutschen Truppen rücken vor und dringen in den Raum von Woronesh, Stalingrad, Noworossijsk, Pjatigorsk und Mosdok ein. Indem die Deutschen und ihre Bundesgenossen sich das Fehlen einer zweiten Front in Europa zunutze machten, warfen sie alle ihre freien Reserven an die Front, setzten sie in einer Richtung, im südwestlichen Abschnitt, ein, schufen hier ein starkes Übergewicht an Kräften und erzielten einen bedeutenden taktischen Erfolg. Offenbar sind die Deutschen nicht mehr so stark, um gleichzeitig eine Offensive in allen drei Richtungen: im Süden, im Norden und im Zentrum, zu unternehmen, wie dies in den ersten Monaten der deutschen Offensive im Sommer des vorigen Jahres der Fall war, aber sie sind noch stark genug, um in irgendeiner einzelnen Richtung eine ernst zu nehmende Offensive zu organisieren.

Welches Hauptziel verfolgten die faschistischen deutschen Strategen, als sie ihre Sommeroffensive an unserer Front eröffneten? Nach den Stimmen der Auslandspresse, auch der deutschen Presse, zu urteilen, könnte man meinen, dass das Hauptziel der Offensive in der Besetzung der Erdölgebiete von Grosny und Baku bestand. Aber die Tatsachen widerlegen entschieden eine solche Annahme. Die Tatsachen besagen, dass das Vorrücken der Deutschen in der Richtung auf die Erdölgebiete der Sowjetunion nicht das Hauptziel, sondern ein Nebenziel ist.

Worin bestand nun also das Hauptziel der deutschen Offensive? Es bestand darin, Moskau vom Osten her zu umgehen, es vom Hinterland, dem Wolgagebiet und dem Ural, abzuschneiden und dann den Schlag gegen Moskau zu führen. Das Vorrücken der Deutschen im Süden in der Richtung auf die Erdölgebiete hatte das Nebenziel, nicht nur und nicht so sehr die Erdölgebiete zu besetzen, als vielmehr unsere Hauptreserven nach dem Süden abzuziehen und die Moskauer Front zu schwächen, um bei dem Schlag gegen Moskau um so leichter einen Erfolg erzielen zu können. Daraus erklärt sich eigentlich auch, dass die Hauptgruppierung der deutschen Truppen sich gegenwärtig nicht im Süden befindet, sondern im Gebiet von Orel und Stalingrad.

Vor kurzem fiel unseren Leuten ein Offizier des deutschen Generalstabs in die Hände. Bei diesem Offizier fand man eine Karte, in die der Vormarschplan der deutschen Truppen terminmäßig eingezeichnet. war. Aus diesem Dokument ist zu ersehen, dass die Deutschen beabsichtigten, am 10. Juli dieses Jahres in Borissoglebsk, am 25. Juli in Stalingrad, am 10. August in Saratow, am 15. August in Kuibyschew, am 10. September in Arsamas und am 25. September in Baku zu sein.

Dieses Dokument bestätigt vollauf die uns vorliegenden Angaben, dass das Hauptziel der deutschen Sommeroffensive darin bestand, Moskau vom Osten her zu umgehen und gegen Moskau den Schlag zu führen, während das Vorrücken nach dem Süden, abgesehen von allem anderen, das Ziel verfolgte, unsere Reserven möglichst weit von Moskau abzuziehen und die Moskauer Front zu schwächen, damit es um so leichter wäre, den Schlag gegen Moskau zu führen.

Kurz gesagt: das Hauptziel der Sommeroffensive der Deutschen bestand darin, Moskau einzukreisen und den Krieg in diesem Jahre zu beenden.

Im November vorigen Jahres rechneten die Deutschen damit, durch einen Frontalstoß gegen Moskau die Hauptstadt zu nehmen, die Rote Armee zur Kapitulation zu zwingen und damit die Beendigung des Krieges im Osten zu erreichen. Mit diesen Illusionen haben sie ihre Soldaten gefüttert. Aber diese Rechnung der Deutschen ist bekanntlich nicht aufgegangen. Nachdem die Deutschen sich im vorigen Jahr bei dem Frontalstoß gegen Moskau die Finger verbrannt hatten, beabsichtigten sie in diesem Jahre, Moskau nunmehr durch ein Umgehungsmanöver zu nehmen und damit den Krieg im Osten zu beenden. Mit diesen Illusionen füttern sie jetzt ihre verdummten Soldaten. Bekanntlich ist auch diese Rechnung der Deutschen nicht aufgegangen. Das Ergebnis ist, dass die faschistischen deutschen Strategen, die gleichzeitig zwei Hasen nachjagten: dem Erdöl und der Einkreisung Moskaus – in eine schwierige Lage geraten sind. So fehlte also den taktischen Erfolgen der Sommeroffensive der Deutschen die Vollendung, da ihre strategischen Pläne offenkundig nicht real waren.

  1. DIE FRAGE DER ZWEITEN FRONT IN EUROPA

Womit ist die Tatsache zu erklären, dass es den Deutschen in diesem Jahr dennoch gelungen ist, die Initiative der Kriegshandlungen an sich zu reißen und an unserer Front ernste taktische Erfolge zu erringen?

Das ist damit zu erklären, dass es den Deutschen und ihren Bundesgenossen gelungen ist, alle ihre freien Reserven zusammenzuziehen, sie an die Ostfront zu werfen und an einem der Abschnitte ein großes Kräfteübergewicht zu schaffen. Es steht ganz außer Zweifel, dass die Deutschen ohne diese Maßnahmen keinen Erfolg an unserer Front hätten erringen können. Aber warum ist es ihnen gelungen, alle ihre Reserven zusammenzuziehen und sie an die Ostfront zu werfen? Weil das Fehlen einer zweiten Front in Europa ihnen die Möglichkeit gab, diese Operation ohne jedwedes Risiko durchzuführen.

Der Hauptgrund der taktischen Erfolge der Deutschen an unserer Front in diesem Jahr besteht also darin, dass das Fehlen einer zweiten Front in Europa ihnen die Möglichkeit gab, alle freien Reserven an unsere Front zu werfen und am südwestlichen Abschnitt ein großes Kräfteübergewicht zu erzielen.

Nehmen wir an, dass in Europa eine zweite Front bestünde, ebenso wie sie im ersten Weltkrieg bestanden hat, und dass die zweite Front, sagen wir, 60 deutsche Divisionen und 20 Divisionen der Bundesgenossen Deutschlands abgezogen hätte. Wie wäre dann die Lage der deutschen Truppen an unserer Front? Es ist nicht schwer zu erraten, dass ihre Lage kläglich wäre. Mehr noch: das wäre der Anfang vom Ende der faschistischen deutschen Truppen, denn die Rote Armee stünde in diesem Falle nicht dort, wo sie jetzt steht, sondern irgendwo in der Nähe von Pskow, Minsk, Shitomir und Odessa. Das heißt, dass die faschistische deutsche Armee schon im Sommer dieses Jahres vor der Katastrophe gestanden hätte. Und wenn das nicht so gekommen ist, dann darum, weil das Fehlen einer zweiten Front in Europa die Deutschen gerettet hat.

Betrachten wir die Frage der zweiten Front in Europa in geschichtlichem Querschnitt. Im ersten Weltkrieg musste Deutschland an zwei Fronten kämpfen: im Westen hauptsächlich gegen England und Frankreich, und im Osten gegen die russischen Truppen. Im ersten Weltkrieg bestand also eine zweite Front gegen Deutschland. Von den 220 Divisionen, über die Deutschland damals verfügte, standen an der russischen Front nicht mehr als 85 deutsche Divisionen. Zählt man hinzu die Truppen der Bundesgenossen Deutschlands, die an der russischen Front standen, und zwar 37 österreichisch-ungarische Divisionen, 2 bulgarische und 3 türkische Divisionen, so sind es alles in allem 127 Divisionen, die gegen die russischen Truppen standen. Die übrigen Divisionen Deutschlands und seiner Bundesgenossen hielten vor allem die Front gegen die englisch-französischen Truppen, ein Teil von ihnen versah den Besatzungsdienst in den okkupierten Gebieten Europas.

So standen die Dinge im ersten Weltkrieg.

Wie stehen die Dinge jetzt, im zweiten Weltkrieg, sagen wir, im September dieses Jahres? Nach überprüften und unanfechtbaren Angaben stehen von den 256 Divisionen, die Deutschland jetzt besitzt, an unserer Front nicht weniger als 179 deutsche Divisionen. Zählt man 22 rumänische Divisionen, 14 finnische Divisionen, 10 italienische Divisionen, 13 ungarische Divisionen, l slowakische Division und l spanische Division hinzu, so sind es insgesamt 240 Divisionen, die jetzt an unserer Front kämpfen. Die übrigen Divisionen der Deutschen und ihrer Bundesgenossen versehen den Besatzungsdienst in den okkupierten Ländern (Frankreich, Belgien, Norwegen, Holland, Jugoslawien, Polen, Tschechoslowakei. usw.), ein Teil von ihnen führt in Libyen Krieg gegen England um Ägypten, wobei die libysche Front alles in allem 4 deutsche Divisionen und 11 italienische Divisionen abzieht. An Stelle der 127 Divisionen im ersten Weltkrieg haben wir also jetzt an unserer Front nicht weniger als 240 Divisionen, und an Stelle der 85 deutschen Divisionen haben wir jetzt 179 deutsche Divisionen, die gegen die Rote Armee kämpfen.

Darin eben liegt die Hauptursache und der Grund der taktischen Erfolge der faschistischen deutschen Truppen an unserer Front im Sommer dieses Jahres.

Der Einfall der Deutschen in unser Land wird oft verglichen mit dem Einfall Napoleons in Rußland. Aber dieser Vergleich hält der Kritik nicht stand. Von den 600 000 Mann, die Napoleon in den Feldzug gegen Rußland schickte, brachte er kaum 130000 bis 140000 Mann seiner Truppen bis Borodino. Das war alles, worüber er vor Moskau verfügen konnte. Wir aber haben es jetzt mit mehr als 3 Millionen Mann zu tun, die der Front der Roten Armee gegenüberstehen und mit allen Mitteln des modernen Krieges ausgerüstet sind. Was für einen Vergleich kann man da schon anstellen!

Der Einbruch der Deutschen in unser Land wird manchmal auch mit der deutschen Invasion in Rußland während des ersten Weltkrieges verglichen. Aber auch dieser Vergleich hält der Kritik nicht stand. Erstens gab es im ersten Weltkrieg in Europa eine zweite Front, die die Lage der Deutschen sehr erschwerte, während es in diesem Kriege keine zweite Front in Europa gibt. Zweitens stehen in diesem Kriege gegen unsere Front doppelt soviel Truppen wie im ersten Weltkrieg. Es ist klar, dass der Vergleich nicht zutrifft.

Jetzt können Sie sich vorstellen, wie ernst und ungewöhnlich die Schwierigkeiten sind, denen die Rote Armee gegenübersteht, und wie groß der Heroismus ist, den die Rote Armee in ihrem Befreiungskrieg gegen die faschistischen deutschen Eindringlinge an den Tag legt. Ich denke, kein anderes Land und keine andere Armee hätte einem derartigen Ansturm der vertierten Banden der faschistischen deutschen Räuber und ihrer Bundesgenossen standhalten können. Nur unser Sowjetland und nur unsere Rote Armee sind befähigt, einem solchen Ansturm standzuhalten. (Stürmischer Beifall.) Und nicht nur ihm standzuhalten, sondern ihn auch zu überwinden.

Oft wird gefragt: Aber wird denn überhaupt noch die zweite Front in Europa kommen? Ja, sie kommt, früher oder später, aber sie kommt. Und sie wird nicht nur darum kommen, weil wir sie brauchen, sondern vor allem, weil unsere Verbündeten sie nicht weniger brauchen als wir. Unsere Verbündeten müssen unbedingt begreifen, dass nach dem Ausscheiden Frankreichs das Fehlen einer zweiten Front gegen das faschistische Deutschland für alle freiheitsliebenden Länder, darunter auch für die Verbündeten selbst, ein schlechtes Ende nehmen kann.

  1. DAS KAMPFBÜNDNIS ZWISCHEN DER SOWJETUNION, ENGLAND UND DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA GEGEN HITLERDEUTSCHLAND UND SEINE BUNDESGENOSSEN IN EUROPA

Man kann es jetzt schon für unbestreitbar halten, dass es im Laufe des Krieges, der von Hitlerdeutschland den Völkern aufgezwungen wurde, zu einer tiefgehenden Scheidung der Kräfte, zur Bildung von zwei entgegengesetzten Lagern gekommen ist: dem Lager der italienisch-deutschen Koalition und dem Lager der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition.

Unbestreitbar ist ferner, dass diese zwei entgegengesetzten Koalitionen sich von zwei verschiedenen, entgegengesetzten Aktionsprogrammen leiten lassen.

Das Aktionsprogramm der italienisch-deutschen Koalition kann man durch folgende Punkte charakterisieren: Rassenhass; Herrschaft der „auserwählten“ Nationen; Unterwerfung der anderen Nationen und Annexion ihrer Territorien; wirtschaftliche Versklavung der unterworfenen Nationen und Raub ihres nationalen Eigentums; Vernichtung der demokratischen Freiheiten; Aufrichtung des Hitlerregimes überall.

Das Aktionsprogramm der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition ist: Vernichtung der Rassenexklusivität; Gleichberechtigung der Nationen und Unantastbarkeit ihrer Territorien; Befreiung der unterjochten Nationen und Wiederherstellung ihrer Souveränitätsrechte; Recht jeder Nation, sich nach eigenem Gutdünken einzurichten; wirtschaftliche Hilfe für die geschädigten Nationen und deren Unterstützung zur Erlangung ihres materiellen Wohlstandes; Wiederherstellung der demokratischen Freiheiten; Vernichtung des Hitlerregimes.

Das Aktionsprogramm der italienisch-deutschen Koalition hat dazu geführt, dass alle besetzten Länder Europas – Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Griechenland, die okkupierten Gebiete der Sowjetunion von Hass entflammt sind gegen die italienisch-deutsche Tyrannei, den Deutschen und ihren Bundesgenossen Schaden zufügen, wo sie nur können, und auf den geeigneten Augenblick warten, um sich an. ihren Unterdrückern zu rächen für die Erniedrigungen und Gewalttaten, die sie zu ertragen haben.

In diesem Zusammenhang ist es einer der charakteristischen Züge des gegenwärtigen Augenblicks, dass die Isolierung der italienisch-deutschen Koalition sowie die Erschöpfung ihrer moralischen, und politischen Reserven in Europa in steigendem Maße wächst, dass ihre Schwächung und Zersetzung wächst.

Das Aktionsprogramm der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition hat dazu geführt, dass alle okkupierten Länder in Europa von Sympathie für die Mitglieder dieser Koalition erfüllt und bereit sind, ihnen jede Unterstützung zu erweisen, deren sie nur fähig sind. In diesem Zusammenhang ist es ein anderer charakteristischer Zug des gegenwärtigen Augenblicks, dass die moralischen und politischen Reserven dieser Koalition in Europa – und nicht allein in Europa – von Tag zu Tag wachsen und dass diese Koalition in steigendem Maße Millionen von Sympathisierenden gewinnt, die bereit sind, gemeinsam mit ihr gegen die Tyrannei Hitlers zu kämpfen.

Betrachtet man das Kräfteverhältnis der beiden Koalitionen vom Standpunkt der Hilfsquellen an Menschen und Material, so muss man zu dem Schluss kommen, dass wir hier eine unbestreitbare Überlegenheit auf Seiten der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition haben.

Die Frage ist nun: Ist diese Überlegenheit allein hinreichend, um den Sieg zu erringen? Gibt es doch solche Fälle, wo zwar viele Hilfsquellen vorhanden sind, sie aber so unsinnig verwendet werden, dass sich die Überlegenheit gleich Null erweist. Es ist klar, dass außer den Hilfsquellen noch die Fähigkeit notwendig ist, diese Hilfsquellen zu mobilisieren, und die Kunst, sie richtig zu verwenden. Gibt es einen Grund, an dem Vorhandensein dieses Könnens und dieser Fähigkeit bei den Männern der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition zu zweifeln? Es gibt Leute, die daran zweifeln. Aber aus welchem Grunde zweifeln sie?
Seinerzeit haben die Männer dieser Koalition das Können und die Fähigkeit offenbart, die Hilfsquellen ihrer Länder zu mobilisieren und sie für die Zwecke des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Aufbaus richtig zu verwenden. Es fragt sich, welchen Grund es gibt, daran zu zweifeln, dass die Männer, die bei der Mobilisierung und Verteilung der Hilfsquellen für wirtschaftliche, kulturelle und politische Zwecke Fähigkeit und Können gezeigt haben, sich als fähig erweisen werden, dieselbe Arbeit zur Verwirklichung militärischer Ziele zu leisten? Ich glaube, es gibt keine solchen Gründe.

Man sagt, dass die englisch-sowjetisch-amerikanische Koalition alle Siegesaussichten habe und dass sie sicher siegen würde, wenn sie nicht einen organischen Mangel hätte, der geeignet wäre, sie zu schwächen und zu zersetzen. Dieser Mangel komme, meinen diese Leute, darin zum Ausdruck, dass diese Koalition aus verschiedenartigen Elementen bestehe, die nicht die gleiche Ideologie haben, und dass dieser Umstand ihnen nicht die Möglichkeit gebe, das gemeinsame Vorgehen gegen den gemeinsamen Feind zu organisieren.

Ich glaube, diese Behauptung ist falsch.

Es wäre lächerlich, den Unterschied in der Ideologie und in der Gesellschaftsordnung der Staaten zu leugnen, die der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition angehören. Aber schließt dieser Umstand die Möglichkeit und die Zweckmäßigkeit des gemeinsamen Vorgehens der Mitglieder dieser Koalition gegen den gemeinsamen Feind aus, von dem ihnen Versklavung droht? Er schließt sie zweifellos nicht aus. Mehr noch: die entstandene Gefahr diktiert den Mitgliedern der Koalition gebieterisch die Notwendigkeit des gemeinsamen Vorgehens, um die Menschheit vor dem Rückfall in Barbarei und mittelalterliche Bestialitäten
zu retten. Ist etwa das Aktionsprogramm der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition nicht hinreichend, um auf seiner Grundlage den gemeinsamen Kampf gegen die Hitlertyrannei zu organisieren und den Sieg über sie zu erringen? Ich glaube, es ist vollständig hinreichend.

Die Annahme dieser Leute ist auch deshalb unrichtig, weil sie durch die Ereignisse des abgelaufenen Jahres völlig widerlegt wird. In der Tat, wenn diese Leute Recht hätten, würden wir Tatsachen einer fortschreitenden gegenseitigen Entfremdung unter den Mitgliedern der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition beobachten. Aber nicht nur, dass wir das nicht beobachten, sondern im Gegenteil, es gibt Tatsachen und Ereignisse, die von einer fortschreitenden Annäherung unter den Mitgliedern der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition und von ihrem Zusammenschluss zu einem einigen Kampfbund zeugen. Die Ereignisse des abgelaufenen Jahres liefern dafür den direkten Beweis. Im Juli 1941, wenige Wochen nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion, schloss England mit uns das Abkommen „Über ein gemeinsames Vorgehen im Krieg gegen Deutschland“. Mit den Vereinigten Staaten von Amerika hatten wir damals noch kein Abkommen zu diesem Zweck. Zehn Monate später, am 26. Mai 1942, während des Besuches des Genossen Molotow in England, schloss England mit uns den „Vertrag über das Bündnis im Kriege gegen Hitlerdeutschland und seine Helfershelfer in Europa und über die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe nach dem Kriege“. Dieser Vertrag ist für 20 Jahre abgeschlossen worden. Er bezeichnet einen historischen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen unserem Land und England. Im Juni 1942, während des Besuches des Genossen Molotow in den Vereinigten Staaten von Amerika, unterzeichneten die Vereinigten Staaten von Amerika mit uns das „Abkommen über die Grundlagen der gegenseitigen Hilfe in der Kriegführung gegen die Aggression“, ein Abkommen, das in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den
Vereinigten Staaten von Amerika einen bedeutenden Schritt vorwärts macht. Schließlich muss eine so wichtige Tatsache vermerkt werden wie der Besuch des Premierministers Großbritanniens, Herrn Churchill, in Moskau, durch den das vollständige Einvernehmen der führenden Männer beider Länder hergestellt wurde. Es kann kein Zweifel bestehen, dass alle diese Tatsachen von einer fortschreitenden Annäherung zwischen der Sowjetunion, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika und von ihrem Zusammenschluss zu einem Kampfbund gegen die italienisch-deutsche Koalition sprechen.

Man sieht, die Logik der Dinge ist stärker als jede andere Logik.

Es ergibt sich eine einzige Schlussfolgerung: die englisch-sowjetisch-amerikanische Koalition hat alle Aussicht, die italienisch-deutsche Koalition zu besiegen, und sie wird zweifellos siegen.

  1. UNSERE AUFGABEN

Der Krieg hat alle Hüllen heruntergerissen und alle Beziehungen bloßgelegt. Die Lage ist dermaßen klar geworden, dass es nichts Leichteres gibt, als unsere Aufgaben in diesem Krieg festzulegen.

In einer in der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ veröffentlichten Unterredung mit dem türkischen General Erkilet erklärt der Kannibale Hitler: „Wir werden Rußland vernichten, dass es sich niemals mehr erheben kann.“ Das ist, wie es scheint, deutlich, wenn nicht ziemlich dumm. (Heiterkeit.) Eine solche Aufgabe wie die Vernichtung Deutschlands haben wir nicht, denn es ist unmöglich, Deutschland zu vernichten, so wie es unmöglich ist, Rußland zu vernichten. Aber den Hitlerstaat vernichten – das kann man und muss man. (Stürmischer Beifall.)

Unsere erste Aufgabe besteht eben darin, den Hitlerstaat und seine Inspiratoren zu vernichten. (Stürmischer Beifall.)

In derselben Unterredung mit demselben General fährt der Kannibale Hitler fort: „Wir werden den Krieg so lange fortsetzen, bis in Rußland keine organisierte militärische Kraft übrig bleibt.“ Das ist, wie es scheint, deutlich, wenn auch erzdumm. (Heiterkeit.) Eine solche Aufgabe wie die Vernichtung jeder organisierten militärischen Kraft in Deutschland haben wir nicht, denn jeder einigermaßen Gebildete wird verstehen, dass das in Bezug auf Deutschland ebenso wie auch in Bezug auf Rußland nicht nur unmöglich, sondern auch vom Standpunkt des Siegers unzweckmäßig ist. Aber die Hitlerarmee vernichten – das kann man und muss man. (Stürmischer Beifall.)

Unsere zweite Aufgabe besteht eben darin, die Hitlerarmee und ihre Führer zu vernichten. (Stürmischer Beifall.)

Die Hitlerschen Schurken haben es sich zur Regel gemacht, die Sowjetkriegsgefangenen zu martern, sie zu Hunderten zu morden, Tausende von ihnen eines qualvollen Hungertodes sterben zu lassen. Sie vergewaltigen und morden die Zivilbevölkerung der okkupierten Gebiete unseres Landes, Männer und Frauen, Kinder und Greise, unsere Brüder und Schwestern. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung der Ukraine, Bjelorußlands, des Baltikums, der Moldau, der Krim und des Kaukasus zu versklaven oder auszurotten. Nur gemeine Halunken und Schufte, jeder Ehre bar, auf das Niveau der Tiere gesunken, können sich schuldlosen und wehrlosen Menschen gegenüber solche Scheußlichkeiten erlauben. Aber das ist nicht alles. Sie haben Europa mit Galgen und Konzentrationslagern bedeckt. Sie haben das niederträchtige „Geiselsystem“ eingeführt. Sie erschießen und hängen völlig unschuldige, als „Faustpfand“ genommene Bürger, weil man irgendein deutsches Vieh daran gehindert hat, Frauen zu vergewaltigen oder friedliche Bürger auszuplündern. Sie haben Europa in ein Völkergefängnis verwandelt. Und das nennen sie die „Neuordnung Europas“. Wir kennen die Schuldigen an diesen Gemeinheiten, die Träger der „Neuordnung Europas“, alle diese neugebackenen Generalgouverneure und einfachen Gouverneure, Kommandanten und Unterkommandanten. Ihre Namen sind Zehntausenden von gequälten Menschen bekannt.

Diese Henker sollen wissen, dass sie der Verantwortung für ihre Verbrechen nicht entgehen und der strafenden Hand der gequälten Völker nicht entrinnen werden. Unsere dritte Aufgabe besteht darin, die verhasste „Neuordnung Europas“ zu zerstören und ihre Träger zu bestrafen.

Das sind unsere Aufgaben. (Stürmischer Beifall.)

Genossen!
Wir führen einen Großen Befreiungskrieg. Wir führen ihn nicht allein, sondern gemeinsam mit unseren Verbündeten. Er bringt uns den Sieg über die niederträchtigen Feinde der Menschheit, über die faschistischen deutschen Imperialisten. Auf den Fahnen unseres Krieges steht geschrieben: Es lebe der Sieg des englisch-sowjetisch-amerikanischen Kampfbundes! (Beifall.)

Es lebe die Befreiung der Völker Europas von der Hitlertyrannei! (Beifall.)
Es lebe die Freiheit und Unabhängigkeit unserer ruhmreichen Sowjetheimat! (Beifall.)
Fluch und Tod den faschistischen deutschen Okkupanten, ihrem Staat, ihrem Heere, ihrer „Neuordnung Europas“! (Beifall.)
Ruhm und Ehre unserer Roten Armee! (Stürmischer Beifall.)
Ruhm und Ehre unserer Kriegsmarine! (Stürmischer Beifall.)
Ruhm und Ehre unseren Partisanen und Partisaninnen! (Stürmischer, lang anhaltender Beifall, der in eine Ovation übergeht.
Alle erheben sich von den Plätzen.
)

Zitiert aus: J. W. Stalin, „Über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion“ – VERLAG FÜR FREMDSPRACHIGE LITERATUR MOSKAU 1946.