Die Wilhelmshavener Revolte 1918

Heute vor 98 Jahren, am 30. Oktober 1918, begann mit dem Matrosenaufstand in Wilhelmshaven die Novemberrevolution.

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Ende 1918 wurde in Wilhelmshaven und Rüstringen Geschichte gemacht: Matrosen, Soldaten und Arbeiter versuchten die Welt zu verändern – kämpften gegen Krieg und Monarchie, für Demokratie und Sozialismus. Die Oktoberrevolution in Russland 1917 und die französische Revolution wurden zum Vorbild für die Arbeiter und Soldaten in Deutschland.

Die Ausgangslage im Oktober/November 1918

Spätestens im September 1918 wurde klar, dass der vom deutschen Imperialismus angezettelte Weltkrieg für Deutschland verloren war. Vorgespräche zu Waffenstillstandsverhandlungen wurden aufgenommen. Dennoch wollte die Seekriegsleitung die deutsche Flotte zu einer letzten, völlig sinnlosen Seeschlacht „zur Ehrenrettung“ gegen England auslaufen lassen. Es wäre jedoch ein Himmelfahrtskommando gewesen, das den sicheren Tod von 80.000 deutschen Marinesoldaten bedeutet hätte.

Vorabend der Revolution

Seit dem 28. Oktober war die gesamte deutsche Kriegsflotte auf der Schillig-Reede zusammengezogen worden. Der Kommandant der „Thüringen“ erklärte vor den Mannschaften: „Wir verfeuern unsere letzten 2000 Schuss und wollen mit wehender Fahne untergehen.“ Doch die Matrosen erkannten die Sinnlosigkeit eines solchen Gefechts und jetzt, wo der Frieden schon so greifbar nah war, wollte man sein Leben nicht mehr für den Ruhm der Seekriegsleitung und der „stählernen deutsche Flotte“ opfern. „Es ist schade um jeden Blutstropfen, der noch für diese Lumpen vergossen wird“, brachte ein Matrose die Stimmung der Mannschaften zum Ausdruck.

Schon tags zuvor, am 27. Oktober, als die Panzerkreuzer „Derfflinger“, „Moltke“, „Seydlitz“ und „Von der Tann“ Wilhelmshaven verlassen sollten, leisteten die Matrosen und Heizer passiven Widerstand und verzögerten das Auslaufen der Schiffe. Zahlreiche Matrosen kehrten nicht an Bord zurück. Allein auf der „Von der Tann“ fehlten etwa 100 Mann. Der Kreuzer „Straßburg“ war gefechtsunfähig, weil 45 Heizer an Land geblieben waren. Ihre Kameraden an Bord löschten die Feuer unter den Kesseln und versuchten, das Schiff durch Öffnen der Flutventile zu versenken.

Am 28. Oktober verweigerten die Matrosen und Heizer auf dem Linienschiff „Markgraf“ die Befehle zum Ankerlichten und Auslaufen. Auf dem Linienschiff „König“ wurde ein Soldatenrat gebildet, und die Matrosen und Heizer des Linienschiffes „Friedrich der Große“ beschlossen auf einer Versammlung, keine Kohlen zu bunkern.

Die rote Fahne weht uns voran!

Als am Morgen des 30. Oktober der Befehl zum Auslaufen gegeben wurde, verhinderten die Mannschaften der „Thüringen“ , der „Helgoland“, der „Markgraf“ und weiterer Großkampfschiffe das Ankerlichten, und die Flotte konnte die Schillig-Reede nicht verlassen. Die Besatzungen der „Thüringen“ und der „Helgoland“ hissten die rote Fahne. Alle Versuche, die Befehlsgewalt der Offiziere wiederherzustellen, scheiterten, so dass die Flottenaktion am 31. Oktober endgültig aufgegeben werden musste.

Unterstützt wurde der Widerstand der Marinesoldaten noch durch einen andauernden kräftigen Oststurm. Mit Hilfe von Marineinfanterie und einigen Torpedo- und U-Booten gelang es schließlich, den Aufstand für einige Tage gewaltsam zu unterdrücken. Mehr als 1000 der meuternden Matrosen wurden in die Marinegefängnisse in Kiel verschleppt. Die anderen Matrosen zeigten sich jedoch solidarisch, immerhin hatten die Meuterer sie vor dem sicheren Tod bewahrt.

Vertrauensmänner wurden gewählt, die nach ihrer Beratung am 1.November im Kieler Gewerkschaftshaus die Forderung an die Marineoffiziere stellten, die Gefangenen freizulassen. Doch die Offiziere gingen nicht darauf ein und lehnten jede Verhandlungen strickt ab. Stattdessen erließen sie ein Verbot die Kasernen zu verlassen und befahlen der Marineinfanterie für Ruhe zu sorgen. So hoffte die Marineführung, das Auslaufen ihrer Flotte könnte, wenn auch mit Verzögerung, doch noch erfolgen.

Aber es kam anders: am 2.November weigerte sich die Infanterie gegen die meuternden Soldaten vorzugehen, wodurch den Offizieren ihr wichtigstes Druckmittel verloren ging. Bei einer erneuten Versammlung der Vertrauensmänner, diesmal auf dem Kieler Exerzierplatz, erklärten sich die Werftarbeiter bereit den Aufstand zu unterstützen; die Bewegung erhielt eine andere Dimension.

Diese sollte sich noch am folgenden Tag ausweiten: nach der durch Karl Artelt eröffneten Massenkundgebung, auf der erneut die Freilassung der Gefangenen gefordert wurde, setzte sich ein Demonstrationszug aus Matrosen und Werftarbeitern in Richtung Marineanstalt, wo die Gefangenen inhaftiert waren, in Bewegung. Auf dem Weg durch die Kieler Innenstadt schlossen sich ihm weitere Soldaten an. Nachdem eine Postenkette das Feuer auf den Zug eröffnet hatte, gab es acht Tote und 29 Verletzte. Dies führte am 4.November zum bewaffneten Aufstand gegen die Offiziersherrschaft. Am Morgen wurden auf den Schiffen Soldatenräte gebildet, die das weitere Vorgehen organisieren und planen sollten.

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Der Funke wird zum Steppenbrand

Der Matrosenaufstand wirkte wie ein Streichholz an einer Zündschnur. Mit rasender Geschwindigkeit breitete sich die Revolte über Deutschland aus, erfasste nach den Soldaten bald auch die Arbeiter. Kriegsmüdigkeit, die langen Jahre des Hungers und der Entbehrungen, die Enttäuschung über die Niederlage und auch der Wunsch nach einer neuen politischen Ordnung, nach Abschaffung der Monarchie, die doch in diesen Krieg geführt hatte, all das befeuerte die Revolution.

In ganz Deutschland kam es zu machtvollen Demonstrationen und Streiks. Erste Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet und übernahmen die Macht. Die Aufrufe der Arbeiter und Soldaten waren eindeutig: „Das ist es, was Wilhelm II. und Hindenburg wollen: Es soll weitergekämpft werden. Abermals sollen Hunderttausende geopfert werden. ( …) Die Forderungen des klassenbewussten Proletariats sind: Nicht Fortsetzung des Krieges – sofortiger Frieden! Nicht politische Entrechtung durch den Militarismus – völlige politische Befreiung, Sturz des Militarismus. Nicht die Fortsetzung der kapitalistischen Knechtschaft nach der Befreiung vom Militarismus – ein menschenwürdiges Dasein in einer sozialistischen Gesellschaft“

In der Nacht zum 6. November ließen die Militärbehörden in Wilhelmshaven alle militärischen Anlagen und öffentlichen Gebäude durch mit Maschinengewehren ausgerüstete Soldaten besetzen. Doch auch das nützte ihnen nichts mehr. Der Aufstand war gut vorbereitet.

Am Morgen des 6.November demonstrierten zehntausende Matrosen und Soldaten durch die Straßen Wilhelmshavens. Werftarbeiter schlossen sich ihnen an. Gefangengehaltene Kameraden wurden aus den Arrestanstalten befreit. Auch die vom Stationschef Admiral von Krosigk angeforderte Infanterie aus 0ldenburg verweigert den Gehorsam. In den späten Vormittagsstunden des 6. November überreichten fünf Soldaten dem Stationschef die Forderungen der Matrosen und Soldaten.

Die Marinesoldaten wählten in ihren Einheiten den Soldatenrat – was den ganzen Tag in Anspruch nimmt. Nachmittags strömten viele tausend Werftarbeiter zum großen Torpedoexerzierplatz. Auf dieser Massenkundgebung wählten die Versammelten ihren Arbeiterrat, der sich am selben Abend mit dem Soldatenrat vereinigte.

Am Abend des 6.11. wurde aus dem Arbeiter- und Soldatenrat ein engerer Ausschuss gebildet, der „21er-Rat“. Dieser wurde als oberste Behörde eingesetzt und übernahm die gesamte vollziehende Gewalt. An seine Spitze wurde der gelernte Maschinenschlosser und Oberheizer Bernhard Kuhnt (USPD) gewählt.

Am nächsten Tag fand eine weitere Massenversammlung auf dem Torpedoexerzierplatz statt. Wieder zogen gewaltige Züge von Soldaten und Arbeitern durch die Straßen. Auf der Kundgebung wurde in einer einstimmig verabschiedeten Resolution der Weltfrieden und die Abschaffung der Monarchie verlangt.

Unterdessen waren, auf Befehl der Reichsregierung, weitere Truppen nach Kiel delegiert worden, die die Stadt abriegeln sollten, um eine Ausbreitung der Bewegung zu verhindern. Doch diese verbündeten sich mit den Aufständischen. So erklärte sogar der Gouverneur von Kiel, Admiral Souchon, sich bereit, eine Delegation der Arbeiter- und Soldatenräte zu empfangen. Souchons einzige Möglichkeit bestand nun darin, Zeit zu gewinnen, auf dass ihm von der OHL oder aus Berlin zuverlässigere Truppen geschickt werden würden um den Aufstand niederzuschlagen.

Am Abend des 4.November 1918 waren alle militärischen und öffentlichen Gebäude der Stadt durch die 40.000 meuternden Matrosen besetzt und Kiel so in ihrer Hand. Auch hier war es gelungen die inhaftierten Kameraden zu befreien. Es wurde ein gemeinsamer Soldatenrat aus den Räten der einzelnen Schiffe gebildet, der die Kontrolle über die Verwaltung und die Lebensmittelverteilung übernahm und noch am gleichen Abend die so genannten „14 Kieler Forderungen“ an die Militärführung stellte.

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Die Revolution ist nicht mehr aufzuhalten

Die Meldungen aus Kiel lösten Panik bei der Regierung in Berlin aus. Reichskanzler Max von Baden telegrafierte auf der Stelle an Groener in Spa, dass er zu „militärischen Beratungen“ anreisen solle. Man hatte Angst, die Situation könne außer Kontrolle geraten und sich zu einer Revolution ausweiten.

Am Morgen des 4.November tagten in Berlin die Staatssekretäre und beschlossen einen SPD-Abgeordneten nach Kiel zu entsenden, der Einfluss auf die revolutionären Arbeiter und Soldaten nehmen und der Bewegung von innen heraus den Schwung nehmen sollte. So fuhr am Abend der Staatssekretär Conrad Haußmann zusammen mit Gustav Noske, der für diese Aufgabe auserwählt worden war, nach Kiel.

Außerdem erfolgte das Erlassen eines Ultimatums an die russischen Diplomaten in Berlin: Sie sollten binnen sechs Stunden das Land verlassen. Man hatte eine aufgebrochene Kiste am Bahnhof Friedrichstraße, die einem Delegationsmitglied gehörte und in der sich revolutionäre Flugblätter befanden, zum Anlass für die Ausweisung genommen. Zwar gehörten die Flugblätter in Wirklichkeit der Spartakusgruppe, doch befürchtete man, dass die russischen Diplomaten gezielt Einfluss auf die Bildung einer Räterepublik in Deutschland nach russischem Vorbild nehmen wollten und so passte der von Scheidemann initiierte „Flugblattfund“ genau ins Bild.

Einsatz der Sozialdemokratie als „Feuerlöscher der Revolution“

Laut Scheidemann musste man „sich jetzt (selbst) an die Spitze der Bewegung stellen, (da es sonst) noch anarchistische Zustände im Reich geben (würde)“. Um die Bewegung zu verhindern war es bereits zu spät, das hatte die SPD als einzige der Regierungsparteien erkannt.

So trafen Noske und Haußmann sofort nach ihrer Ankunft in Kiel mit den Arbeitervertretern, dem Soldatenrat und Gouverneur Souchon zusammen um über den weiteren Verlauf gemeinsam zu beraten. Daraufhin wurde Noske am 5.November zum Vorsitzenden des Soldatenrates gewählt und übernahm am 7.November den Gouverneursposten.

Doch Noske unterstütze nicht, wie von den Arbeitern und Soldaten erwartet, die Ausweitung des Aufstandes, sondern versuchte, gemäß der SPD-Linie, so schnell wie möglich wieder für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. So war seine erste Amtshandlung das „Verbot des Waffentragens außerhalb des Dienstes“ zu erlassen. Bei einem gemeinsamen Treffen der SPD- und Gewerkschaftsführer sowie Max von Baden und Groener am 6.November beschloss man den „lokalen Ausbruch in Kiel“ durch Einstellen des Post- und Eisenbahnverkehrs an seiner Ausweitung zu hindern.

Doch dafür war es bereits zu spät. Die revolutionäre Bewegung hatte sich durch die Kieler Soldaten bereits auf ganz Norddeutschland ausgebreitet. Nachdem am 5.November die „roten Matrosen“ in Lübeck eingetroffen waren, waren die dort stationierten Garnisonen sofort übergelaufen und hatten gemeinsam mit den Matrosen am Abend bereits die Hauptpost, das Telegrafenamt und den Bahnhof besetzt. Am nächsten Tag folgte der Generalstreik.

Der „lokale Ausbruch“ von Wilhelmshaven und Kile breitete sich innerhalb kürzester Zeit auf das ganze Deutsche Reich aus. Am 7.November waren Hannover, Köln und Braunschweig in den Händen der Revolutionäre. Am gleichen Tag wurden in München die Wittelsbacher gestürzt. Gleiches geschah den Fürsten in Sachsen, Franken und Hessen am folgenden Tag.

Das Bild in den Städten war meist das gleiche: den angereisten Matrosen aus Kiel schlossen sich bei den Demonstrationen weitere Arbeiter und Soldaten an. Man bewaffnete sich bei dem Sturm auf Kasernen und Polizeistationen. Öffentliche Gebäude wurden besetzt und Gefangene befreit, der Generalstreik ausgerufen und Räte gewählt, denen die Exekutivgewalt zugesprochen wurde. Anschließend zogen die Matrosen zur nächsten Stadt um ihre „revolutionäre Botschaft zu verkünden“.

Am 9. November musste der Kaiser der Hohenzollern, Wilhelm II, abdanken, Die Monarchie war gestürzt.

Sozialistische Republik Oldenburg/Ostfriesland

In Wilhelmshaven, wo die Revolution begann, erklärte der Sprecher des „21er-Ausschusses“, Bernhard Kuhnt, auf einer Kundgebung am 10. November (dem „Freiheitssonntag“), an der über 100.000 Matrosen, Arbeiter und. Soldaten teilnahmen, den Oldenburgischen Großherzog für abgesetzt und rief die“ Sozialistische Republik Oldenburg/Ostfriesland“ aus.

Bernhard Kuhnt: „So ist die Stunde da, in der wir handeln müssen, und nach einer ernsten, langwierigen und eingehenden Beratung in dieser Nacht, haben wir deshalb wieder versucht, einen Stein vom Wege zu heben. Wir müssen schnell arbeiten; der Schmerzenstage waren es genug. Der 21er-Ausschuß hat in dieser Nacht einstimmig beschlossen, hier die Nordseestation und alle umliegenden Inseln und Marineteile sowie das dazugehörige ganze Oldenburger Land zur Sozialistischen Republik zu erklären. Der Großherzog ist abgesetzt.“

Nach der blutigen Niederschlagung der Arbeiteraufstände im Januar 1919, schickte die Reichsregierung Truppen nach Rüstringen und Wilhelmshaven, um die sozialistische Republik Oldenburg/Ostfriesland zu beenden. Der 21er-Rat wurde abgesetzt und Oldenburg zum „Freistaat“ erklärt. Als provisorische Regierung wurde ein Landesdirektorium gebildet, dem u. a. der Rüstringer Landtagsabgeordnete Paul Hug und Kuhnt angehörten. Kuhnt übernahm das symbolische Amt des Präsidenten des neuen Freistaates Oldenburg.

Historisches Verdienst der revolutionären Arbeiter und Soldaten

Die Arbeiter und Soldaten, die im November 1918 gegen Krieg, Imperialismus und Kapitalismus aufstanden, schufen Tatsachen, die bis heute und noch weit in die Zukunft wirken. Die Hohenzollernmonarchie und die anderen Dynastien wurden hinweggefegt – es entstand eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie. Demokratische Rechte und Freiheiten, wie z.B. das Recht der Arbeiter auf Betriebsräte, das allgemeine Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht, Koalitions-, Versammlungs- und Pressefreiheit, der Achtstundentag, Kündigungsschutz, Tarifautonomie, Arbeitsgerichtsbarkeit, die Beseitigung feudaler Ordnungen (Landarbeiter- und Gesindeordnung) – all das sind erkämpfte Errungenschaften, die durch die Novemberrevolution Gesetz wurden bzw. zumindest durch die Ereignisse befördert wurden.

Am 2. Mai 1920, gleich nach dem durch einen Generalstreik niedergerungenen Kapp-Putsch, errichteten der Deutsche Metallarbeiterverband, USPD und MSPD Rüstringen/Wilhelmshaven auf dem Ehrenfriedhof einen Gedenkstein zu Ehren aller Revolutionstoten der Stadt Wilhelmshaven. Auf dem Sarkophag, der von den Nationalsozialisten zerschlagen und vom DGB Wilhelmshaven wieder errichtet wurde, steht eine Inschrift von Ferdinand Freiligrath: „Oh stets gerüstet seid bereit, dass die Erde, in der wir liegen steif und starr, ganz eine freie werde!“

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